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Die Nacht, da der Dom brannte

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In dieser Nacht schlief keiner in der Stadt. Der Dom von St. Stephan stand in hellen Flammen. Ein Kulturwerk, das ein halbes Jahrtausend überdauerte, sank in Trümmer. Mit hellem Antlitz war er in den Greueln der Jahrhunderte stehengeblieben. Nun ereilte ihn das Schicksal. Die Geschlechter kamen und gingen, er schaute lächelnd auf sie nieder. Kriege und Seuchen verheerten die Stadt, das Herz der Stadt blieb erhalten. Auf der Turmspitze im Zentrum Europas glänzte das Kreuz unerschüttert.

Nun war der brennende Dom das Abendrot einer versinkenden Epoche jahrtausendalter christlicher Kultur und Sitte. Die gute alte Zeit versank endgültig. Was brauchte unsere Zeit schon einen Dom?

Die sechs Kriegsjahre blieb der Dom unversehrt. Erst die letzten Tage trafen ihn schwer. Vor nunmehr fünf Jahren, am 11. April 1945, begann die Katastrophe. Ein Prophet, ein eherner Künder Gottes, ein ragender Rufer des Glaubens flammte im Feuer, um die Nacht aufzuzeigen, in der Europa verdunkelt war. Ein Zeuge vergangener Tage frommer Menschenhingabe und Gottesantwort stöhnte, zuckte und bebte in Todesqual. Da er gemartert wurde, offenbarte er noch einmal das große Herz eines gläubigen Volkes. Das gewaltigste Lob des Ewigen, das in seinen Mauern aufrauschte, hörte im Zischen und Prasseln dieser Feuersbrunst auf. Das Haus aller Häuser, das Gott in sich barg, stürzte ein und begrub das Jahrtausend des katholischen Abendlandes unter seinen Ruinen.

Ein heftiges Weinen hub um den Dom an, da er in Flammen stand. Unter den Schweren Nächten, die dieses Land erlitt, war es die schmerzlichste, als der steinerne Finger des Turms, vom Feuer umloht, zum Himmel um Hilfe flehte. Das ganze Volk brannte mit. Der Schreckensruf brach aus der verqualmten und schluckenden Kehle eines jeden, der in die lodernde Glut starrte. Der Dom gehörte Gott, er gehörte aber auch ihnen. Geschlechter hatten ihn gebaut, und jeder umgab ihn mit der rührendsten Sorge seiner Seele. Jede Generation türmte ihn neu auf, jeder einzelne hielt ihn für das Werk seiner' Hände. Und nun wurde es grausam zerstört.

Der Dom war ein einziges Bekenntnis: Ich glaube an Gott, das jeder ehrfürchtig und auf seine Art sprach. Aber in der Glut dieser Stunden verzehrte er sich zu einem unerhörten Herzensschrei aller um Bewahrung des Glaubens. Jetzt wurden die Sünden der Väter und ihre eigenen im Feuer getilgt.

Keiner ging ehedem vorüber, den er nicht ansprach, den er nicht aufrief zum Guten, dem er nicht Trost gab und Frieden.

Wie das Gewissen war er dieser Stadt, Mahnmal, das über die Straßen, die Häuser, die Dächer in die jenseitige Stadt des Himmels zeigte. Aber in dieser Nacht fielen die Quadersteine auf das verzweifelte Herz: Wir sind nicht würdig mehr, daß du ragst. Was werden wir sein ohne dich! Im Dom brach die Heimat zusammen, verlor der Mensch die Nähe Gottes in dir. Wo werden die Straßen hinenden, wenn nicht in deiner Geborgenheit?

Wieviel Angst, die Menschen zermürbte, kam in dir zur Ruhe. In dir fand sich der. Verwirrte zurecht, kam jeder nach Hause, entdeckte jeder sein Herz. In dir erbrauste der Jubel, und jeglichem Opfer und jedweder bittern Stunde warst du Verklärung und Krönung. In dir reifte noch jedes Geschlecht und gewann eigene Art und klare Prägung die

Seele. In deinem Licht und Schatten wuchsen sie alle. In deinen hochgewölbten Schiffen waren sie eins in der Eintracht und nichts als liebende Brüder schwebten sie hin an das andere Ufer.

Und immer ging der Blick der Menschen zum Dom, suchte die Seele den Turm. Und immer hat sich einer aufgemacht und pilgerte in die Ruhe des Gotteshauses. Vor der Muttergottes in der traulichen Ecke zündeten sie Kerzen an. Der Herrgott, dem der Bart wuchs, blickte so todtraurig und erbarmend auf die Leute, die vor ihm knieten. Wie er hat keiner gelitten in dieser Welt. Das Wimpassinger Kreuz sprach so aufmunternd und eindringlich vom Dulden und Uberwinden. Jeder fühlte sich verstanden und erleichtert in seinem Weh. Die Madonna auf der Säule hob alle zu sich hinauf unter ihren Schutzmantel. Darin wußte sich auch der Ärmste und Unscheinbarste gut aufgehoben und geborgen. Der Dom war die Heimat der Herzen.

Vieles verlor das Herz in jenen Tagen, das Bitterste aber ist, die Heimat Verlieren. Die Bummerin fiel in schrecklichem Dröhnen auf das klagende Herz.

Dom, du heiliger Ort des Friedens. Immer in schweren Zeiten des Krieges strömten die Menschen nach St. Stephan. Er war Mittelpunkt des Weltgeschehens. In ihm schlug das Herz eines Volkes, ob es lachte oder weinte. Hellere Feste wurden nirgends gefeiert, denn da. Und als die Menschen in Todesangst aufschrien und sich zu schützen suchten vor dem Grauen der Bomben, flüchteten sie in die Katakomben von St. Stephan. Und über ihnen stand der Dom und wehrte dem Unheil.

Gott ging aus dem Dom, er ging voll Grauen aus der Vernichtung, aus dem Schutt, aus den Flammen, aus der Zerstörung der Seelen. Die Menschen nahmen ihm sein Haus, die Kathedrale seiner Segnung. O du kleine Schar der Tapferen und furchtlos Getreuen, die aucn“ dann noch standhielt, als alles vor den Götzen dieser dämonischen Epoche auf den Knien lag und Gott vergaß. Wo man den Götzen Altäre baute, hatte der alte Altar keinen Sinn mehr. Wo man Ruhmeshallen menschlichen Stolzes und brutaler Anmaßung errichtete, mußte der Dom ais letzter Hort und letzte Zuflucht des Glaubens an den einen Gott im Himmel droben und seinen Anspruch fallen.

Dombrand war die furchtbare Sprache Gottes. Gott redete in den Flammen. Es mußte ihn auch der verstehen, der nicht mehr gewohnt war, auf ihn '.hinzuhorchen in der Mahnung des ragenden Turmfingers.

Es war ein brennendes Sprechen Gottes, so daß die Menschen erzitterten und in die Knie brachen.

Ich will kommen und deinen Leuchter von seiner Stelle rücken, wenn du dich nicht bekehrst. Ich habe gegen dich, daß du deine erste Liebe nicht mehr hast.

Ihr braucht mich nicht mehr. Ihr habt den Glauben und die Heimat verraten. Ihr seid nicht mehr der Mensch der Güte und der Liebenswürdigkeit, der Mensch mit dem gewinnenden Lächeln. Wo blieb die Lauterkeit und die himmlische Fröhlichkeit des Herzens? Eure Lieder arteten aus in Frivolität, das schöne Verhältnis zu Gott, den ihr in euren Liedern, in Einfalt und beglückender Vertraulichkeit einen Wiener sein ließet, wurde Spott und Hohn.

Im Tabernakel des Doms wohnte euer Gott, der Christengott. Nun ist das Licht verlöscht, es brennt keine ewige Lampe mehr, schaurig flammte noch einmal

Tage und Nächte der Dom als blutigrotes Ewiglicht, dann ging es aus.

Der Turm blieb, er weist als Finger Gottes zum Himmel. Er ist wie eine letzte große Hoffnung der Menschen, die Gott nicht zerstören ließ. Darinnen zittert das Herz der Menschen und steigt in Sehnsucht empor zum Licht. • Mit dem Groschen der Armen und Ärmsten wird er wieder neu gebaut, der alte Dom, der leidwunde, der verbrannte. Wieder fügt sich Stein auf Stein. Die gemeinsame Liebe zum alten Dom schließt die Herzen enger zusammen. Der brennende Dom hat ein Wunder bewirkt: nun wollen alle das eine, wieder aufbauen, helfen in selbstloser Bereitschaft und demütiger Hingabe. Lange wird man bauen müssen. Das ganze Volk wird sich wieder das Haus Gottes unter den Menschen, die Kathedrale des Glaubens errichten. In neuer Pracht und Herrlichkeit wird der geliebte Dom erstehen.

Durch das geöffnete Riesentor zog wieder ein Volk ein, kehrt es heim in den Frieden Gottes. Die Pforte des Himmels ist wieder aufgetan in die Geborgenheit. Gott nahm Besitz von seinem Haus. Er wohnt wieder mitten im Herzen seines Volkes, denn immer galt der Dom afs das heilige Herz des Landes.

Schließt ihm die Seele auf! Der Dorn, unserer Seelen ist ausgebrannt. Wer vermag ihn wieder aufzurichten? Die Erwartung Gottes ist ohne Grenzen. Und die Hoffnung der Menschen ist in jedem Zurichten des Steins spürbar, den der Maurer auf den andern legt.

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