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Was uns verbleibt

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Ein Fest ist verrauscht, wie es ein Volk in Jahrhunderten nicht oft feiern kann. Aus sich heraus, ohne Anordnung von oben; im Hochgefühl, diesmal nicht in feindlichen Gruppen gegeneinanderstehen zu müssen; überrascht von der Glücksfülle seiner Einigkeit, die alles Trennende mit Freudentränen überwältigt, hat sich das österreichische Volk selbst einen Nationalfeiertag bereitet.

Mit Sehnsucht erwartet, auf ihrem triumphalen Zug durch eine erblühende Landschaft in Stadt, Markt und Dorf mit Jubel begrüßt wie eine sehr menschliche Landesmutter, der Blumen auf den -Weg gestreut werden, ist diese lebende Stimme in der Hauptstadt mit einem Sturm der Begeisterung empfangen worden, wie ihn Wien selten erlebt hat. Als der Tag von den lichten Säulen des Domes Abschied nahm, zwischen denen unsichtbar das Herz unseres Vaterlandes schlägt, empfing die Glocke ihre Weihe. Der erhabene, unvergleichliche Turm hat seine Gefährtin wieder, die nach sieben stummen Jahren zu unserem ferneren Leben ihre ernste wohltönende Stimme vernehmen lassen wird. Wer das Riesentör der wiedererstandenen Kathedrale durchschreitet und die Kräfte des geheiligten Raumes auf sich wirken läßt, dem wird bewußt, daß er an einem Punkt steht, von dem aus Mächte aus den Angeln zu heben sind.

Die Festwoche neigt sich ihrem Ende zu. Was ist es nun, das bleibt?

Voran das Zeugnis der inneren Einheit der Landschaft und der Menschen unserer Heimat. Es ist noch nicht so lange her, daß mit dem Thronverzicht des letzten österreichischen Monarchen 1918 die Pragmatische Sanktion Kaiser Karls VI. aufgehoben wurde, die die Unteilbarkeit seines Erbes durch zwei Jahrhunderte sichern sollte. Die neuen Bundesländer sperrten sich da gegeneinander ab, in einigen gedachte man, sich von Wien zu lösen, um bei benachbarten Staaten Anschluß zu finden. Dieses Trennende ist heute versunken, wie der Landeshauptmann Oberösterreichs bei der Übergabe der Pummerin erklärte; „sie ist ein Sinnbild dafür, daß die Herzen aller Österreicher wieder wie einst ihrer Hauptstadt entgegenschlagen“. Und der Kardinal kam in seiner Ansprache auf dieses Zeugnis zurück: „Jeder Österreicher, der in Zukunft den Dom betritt, wird hier ein Stück Heimat finden; denn sein inneres Antlitz verdankt der Dom weithin den Spenden der Länder. So ist St. Stephan zum Nationalheiligtum geworden, in dem die Einheit des Landes in einer schönen Weise zum Ausdruck kommt.“

Paris mag auf den Invalidendom stolz sein mit dem Grabmal Napoleons, der wie ein Komet über Europa ging und die brennende Fackel, die 1789 die große Französische Revolution entzündet hatte, nach Moskau trug.

Moskau mag sich des Kremls rühmen und des einbalsamierten Propheten an seiner Mauer, der 1917 nachholte, was 100 Jahre vorher gescheitert war.

Österreich freut sich des Domes von St. Stephan. Auch er birgt die Ruhestätte eines Heerführers, eines Staatsmannes von größtem Format, des Prinzen Eugen von Savoyen, in dessen Genius sich die europäische Mitte gegenüber dem Osten und seinem westlichen Gegenspieler behauptete. Das ist schon lange her, doch die Stellung zwischen Ost und West ist uns geblieben. Unser österreichisches Schicksal entscheidet sich daran, daß wir unsere historische Aufgabe recht erfassen.

Denn eine solche Aufgabe hat Österreich auch heute, und es kann sich von der Bühne der Geschichte nicht zurückziehen, um ihre Gestaltung anderen, Mächtigeren, zu überlassen. Daß Österreich klein und arm geworden ist, sei uns ein Hinweis, daß diese Aufgabe heute nicht in der Richtung politischer oder wirtschaftlicher Machtentfallung liegt. Im Herzen Europas die Würde und Freiheit des Menschen geistig und materiell zu erneuern und zu sichern, die Menschen miteinander zu versöhnen und damit einen echten und dauerhaften Frieden zu begründen, das ist eine für den ganzen Kontinent beispielgebende Aufgabe, deren Bewältigung nicht von Quadratkilometern und nicht von der Zahl seiner Einwohner abhängt, wohl aber von dem Geist, der sie beseelt. Wenn wir uns dieser Aufgabe in ihrer ganzen Weite und Höhe weihen, dann werden wir uns wandeln müssen. Denn wenn wir die Alten blieben, würde es wenig bedeuten, daß der Dom wieder aufgebaut und neu geweiht wurde.

Das ist die Aufgabe, die uns nach dem Fest verbleibt; an die uns der Dom mahnen wird, die kommenden Wochen, die kommenden Jahre und Jahrzehnte.

Und wenn die Gläubigen in unserem Land vom Dom die Glocke in ihr tägliches Leben hineinrufen hören, dann sollen sie daran denken, daß unser Nationalheiligtum kein profanes Denkmal ist und kein Grabmal, sondern die Wohnstätte des lebendigen Gottes, der ein Gott der Gerechtigkeit ist und der Liebe, der keiner verloren bleiben soll; daß auf ihnen also eine doppelte Verantwortung für die Mitmenschen und für die Gemeinschaft lastet.

Gewiß ist viel verschüttet in unserem Volk. Doch die Huldigungen, die in breitem Strom zur Kathedrale brandeten, sind eine Mahnung, daß seine Christlichkeit noch nicht erloschen ist. Wenn die Gläubigen aus dem Heiligtum in die Welt hinaustreten, da nützt es allerdings wenig, wenn sie sagten, sie hätten den Glauben, und ließen ihre Werke nicht Zeugnis für ihren Glauben ablegen.

Unsere Zeit drängt auf letzte Entscheidungen. Wenn sich die Christen erst voll bekehren, dann wird das Licht im ganzen Land leuchten. Dann wird unser Volk nicht das geringste unter den Völkern dieser Erde sein.

Das ist die Hoffnung und die Aufgabe und die Freude, die verbleiben, wenn nun das Fest zu Ende geht.

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