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Digital In Arbeit

Das neue Hobby: Arbeiten

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Die Freizeit war explodiert. Man arbeitete nur noch sechsundzwanzig Stunden wöchentlich: Montag von 13 bis 16 Uhr, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag von 9 bis 16 Uhr, Freitag von 10 bis 12 Uhr.

Goldschmiede spielten Ping-Pong, Automechaniker spielten Fußball, Gärtner sammelten Briefmarken, Servierdamen betrieben Gymnastik, Kindergärtnerinnen schwammen, Polizistinnen malten. Man lernte Sprachen, man fotografierte, man wanderte.

In einer Art kopernikanischer Wendung hatte die Freizeitgestaltung jenen Platz im Leben eingenommen, den einst die Arbeit innegehabt hatte. Sie war zur Hauptsache geworden, und die Arbeit war in das Nebenbei abgesunken, dorthin, wo einst die Hobbys rangiert hatten.

Und doch waren die Menschen nicht froh, nichterfüllt. Unrast herrschte und bereitete den Soziologen und Psychologen Kopfzerbrechen.

Allmählich ergab es sich dann, daß Goldschmiede über die vorgesehene Arbeitszeit hinaus in ihren Werkstätten Gold schmiedeten, daß Kindergärtnerinnen über die vorgesehene Arbeitszeit hinaus Kinder betreuten, daß Automechaniker auch abends Autos reparierten, daß Servierdamen ihren Kolleginnen beim Servieren assistierten. Und Polizistinnen schlenderten außerhalb ihrer Dienststunden durch die Stadt und verteilten Strafmandate an widerrechtlich parkende Personenkraftwagen.

Die Bewegung griff um sich, ohne Aufsehen, aber deutlich spürbar. Arbeit als Freizeitbeschäftigung war in. Ein neuer Kopernikus zeichnete sich ab.

Die freiwillig Arbeitenden wollten kein Entgelt für ihre zusätzlichen Leistungen. Sie wurden ja - so sagten sie, wenn man sie fragte - auch für ihre sportlichen und sonstigen Hobby-Aktivitäten nicht honoriert - im Gegenteil! Doch gerade das steigerte die ohnehin komplexe Problematik der, Situation.

Denn da wird ja nicht nur den Arbeitslosen sozusagen Arbeit weggenommen, da wird auch gegen die mühevoll geregelten Tarife verstoßen.

Bei seinem nächsten Kongreß wird der Gewerkschaftsbund ausführlich über die Lösung der Krise beraten müssen und das wird gar nicht einfach sein; denn er sieht sich einer Entwicklung gegenüber, die in der Geschichte kein Beispiel hat: Menschen wollen um der Arbeit willen, ohne Rücksicht auf die Bezahlung, mehr arbeiten.

Eine Fraktion innerhalb der Gewerkschaftsführung will die zusätzlichen Arbeitsstunden in die Regelung der Belastungen von Luxusgütern einbauen und entsprechend besteuern. Die Mehrheit der Gewerkschaftsführung neigt dazu, die bestehenden Uberstunden-Regelungen sinngemäß - sozusagen spiegelbildlich - anzuwenden, indem jeder Arbeitnehmer und jeder Selbständige für seine Freizeit-Hobby-Arbeit ein entsprechend gestaffeltes Uberstunden-Entgelt zu entrichten hat.

Armer Kling

Der umstrittene Theologe Hans Küng hat bekanntlich sein Schicksal mit dem des sowjetischen Regimekritikers Sacharow verglichen. Was den in Oxford lehrenden polnischen Philosophen Leszek Kolakowski zu folgender, in der Londoner „Times” abgedruckter Satire anregte:

Die Analogien sind in der Tat beeindruckend. -Wie jedermann weiß, erscheinen von der Prawda bis zur Iswe-stija quer durch die gesamte sowjetische Presse Artikel von Sacharow, in denen er seinen Fall verteidigen und die Regierung angreifen kann; er gibt fortlaufend Fernsehinterviews, um seinen Fall zu erläutern, hält Vorträge und Reden vor großem Publikum an der Moskauer Universität; ebenfalls findet in den Massenmedien eine Debatte zwischen Sacharows Verteidigern und Kritikern ganz freimütig statt. Sacharows Bücher, in denen er das sowjetische Regime attackiert, werden in allen Buchhandlungen der Sowjetunion verkauft. Andererseits ist es ebenso allgemein bekannt, daß Prof. Küng nach 12jähriger ständiger Belästigung durch die päpstliche Polizei erst jüngst aus seiner Wohnung exmittiert und mit Gewalt unter Polizeiaufsicht in eine entlegene Kleinstadt gebracht wurde, wo sein Telefon abgeschaltet wurde; die meisten seiner Freunde, die mit ihm für dieselbe Sache streiten, verrecken in Konzentrationslagern und Gefängnissen. O, ihr Märtyrer in den Klauen des heutigen Diokletian Wojtyla!

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