6804002-1971_48_16.jpg
Digital In Arbeit

Das Schöne und das Schreckliche

Werbung
Werbung
Werbung

Karl IV., als böhmischer König der erste seines Namens, war einer der volkommensten böhmischen Menschen, die es jemals gab. Sohn einer Przemyslidin, somit’ mütterlicherseits tschechischer Abstammung, und des Luxemburgers Johann, somit deutscher Abstammung, gehörte er beiden Nationen an, die Böhmen bewohnten. In seiner Jugend in Frankreich erzogen (wo er auch den Namen Karl annahm, denn in Wirklichkeit war er auf den Namen Wenzel getauft), verheiratet mit einer französischen Prinzessin, war er durchtränkt von der romanischen Kultur. Unter seiner Regierung erlebte Böhmen eine seiner glanzvollsten Epochen. Natürlich gab es auch Spannungen in nationaler, sozialer und religiöser Hinsicht, aber in großartiger Weise vermochte Karl IV. alle Spannungen immer wieder ausrugleichen und in einzigartigen Toleranz, die in seinem christlichen Glauben und in seinem Humanismus ihre Wurzeln hatten, alle Gegensätze zu überwinden.

Unter seinem Sohrv Wenzel IV., der dem Vater sowohl als römischer Kaiser wie als böhmischer König nachfolgte, sollte alles anders werden. Kaum ein halbes Jahrhundert nach dem Tode Karls IV. stürzte Böhmen in den Hexenkessel der hussitischen Kriege, die ‘das Land verwüsteten und vollständig umstrukturierten. Wenzel IV. erwies sich einfach als unfähig, die sozialen, religiösen und nationalen Spannungen seiner Zeit auszugleichen, so daß es zum Ausbruch dieses Vulkans kam. Eine in der böhmischen Geschichte nicht unbekannte Erscheinung. Denn immer wieder folgten auf Glanzzeiten ganz plötzlich sol che zerstörenden Katastrophen. Böhmen, das aus altem Vulkangestein besteht, scheint auch in seiner Geschichte etwas von der Art eines ruhenden Vulkans an sich zu haben.

Nach seiner Abstammung und seiner Erziehung hätte Wenzel IV. alle Chancen gehabt, seinem Vater nachzufolgen. Er hatte tschechisches,

deutsches und französisches Blut ln sich, er war mit den besten Geistern seiner Zeit bekannt, er atmete den Geist der Humanität und des Christentums in seiner Kindheit ein. Und dennoch war er ein Versager. Vielleicht war das Vorbild seines Vaters zu stark für ihn und er fühlte sich unfähig, seinem Vater nachzufolgen oder wollte, was psychologisch leicht erklärlich 1st, auch anders werden als sein Vater. Vielleicht war er durch dieses Vaterbild in seinen Handlungen so gelähmt, daß er sich unfähig fühlte, mit Weisheit und Toleranz Gegensätze auszugleichen. Er ergab sich sehr oft dem Trunk, was allein schon darauf hinweist, daß er mit vielen Problemen seines Lebens nicht fertig wurde. Manche Probleme glaubte er auch mit Gewalt lösen zu können, was wiederum zeigt, daß er im Grunde genommen ein schwacher und intoleranter Charakter war. Wenzel IV. war es ja, der den Generalvikar von Prag, Johannes von Nepomuk, hinrichten ließ, und er war es, der durch das Kuttenberger Dekret das ausgewogene Gleichgewicht der Nationen an der Prager Universität zerstörte, so daß die deutschen Studenten und Professoren schließlich Prag verließen und in Leipzig eine neue Universität besiedelten.

Daß Wenzel IV. aber auch andere Anlagen in sich trug >und viel von seinem Vater geerbt hatte, das zeigen die wenigen Reste seiner Bibliothek. Diese besteht heute nur noch aus acht Bänden, während ein großer Teil in den hussitischen Wirren verlorengegangen sein muß. Diese acht Bände sind eine deutsch geschriebene Bibel, ein Kommentar zum Psalter, ein Auszug aus den Briefen des Apostels Paulus, drei astrologische Schriften, die Goldene Bulle Karls IV. und das Ritterepos „Willehalm“. Durch Erbschaft kamen diese acht Bände in den Besitz der Habsburger und bilden heute ein Glanzstück der Wiener Nationalbibliothek. Der Wiener Forumverlag brachte ein pachtvoll ausgestattetes Werk über diese Handschriften heraus, verfaßt von Dr. Josef Krasa, wissenschaftlichen Mitarbeiter des Institutes für Kunstgeschichte der tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften in Prag.

In überreicher Fülle reproduziert das Werk sowohl ln Schwarzweiß, wie auch in Farbe die verschiedensten Seiten und Bilder aus diesen übriggebliebenen Werken einer einst großen Bibliothek. Und der Betrachter bekommt eine Ahnung davon, welch ungeheure Fülle an Kultur im späten 14. Jahihundert in Böhmen geherrscht haben muß. Unter Karl IV. war ja Prag schon zu einem der großen Mittelpunkte des geistigen und künstlerischen Lebens Europas geworden. Aus Frankreich brachte Karl die französischen Kunstformen ins Land und nicht minder durch seine Beziehungen zu Italien Einflüsse der italienischen Malerei. Sein Kanzler, Johannes von Neumarkt, gibt die bedeutendsten Bildhandschriften des Landes in

Auftrag. Die Prager Universität, die Klöster des Landes wetteifern in der Vergabe solcher Bildhandschriften und der Anlage großer Bibliotheken. Der älteste Sohn Karls IV. zeigt größtes Interesse für diese Bildhandschriften und beginnt bald eine Bibliothek zu sammeln. Als er 1378 mit seinem Vater in Paris ist, zeigt ihm der französische König Karl V. seine für damalige Begriffe große Bibliothek von tausend Bänden. Es 1st die letzte Reise, die sein Vater unternimmt, denn im gleichen Jahr schon stirbt er und Wenzel IV. beginnt sein Leben als Herrscher. Aus den Bildern seiner Bücher, zu denen er sich doch hingezogen gefühlt haben muß, spürt man, daß dieser

Wenzel IV. Im Grunde vielleicht ein hypersensibler, von Schönheit trunkener und mit den besten Vorsätzen ausgestatteter Mensch gewesen sein muß, der einfach unfähig war, sein Leben zu meistern, vielleicht, weil er zu viele Belastungen mitbekommen hatte, und über dessen Leben wieder einmal der Spruch Rilkes stehen könnte: „Denn das Schöne ist nur des Schrecklichen Anfang.“

DIE HANDSCHRIFTEN KÖNIG WENZELS IV. Von Josef Krasa, Fo- rum-Verlag, Wien, 298 Seiten, 98 Seiten auf Kunstdruck. 213 schwarzweiß und 40 farbige Abbildungen, S 365.—.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung