7074186-1993_12_08.jpg
Digital In Arbeit

Das Unaufhebbare in der Kulturpolitik

Werbung
Werbung
Werbung

Kunst als absolute Forderung: des Künstlers an sich selbst und das Werk, niemandes Untertan, auch keiner wie immer gearteten und genannten Gesellschaft verpflichtet. Das reine Bild, der reine Klang, das reine Wort! Das Ornament - jede Verzierung, jedes Zugeständnis - ein Verbrechen für den, der an der Grenze des Schweigens und der Leere seinem Dämon die Idealgestalt des zu Schaffenden abringt. Alles andere ist Dilettantismus, Kitsch, Schlamperei, Gefühlskult! Kunst als gewaltloser Widerstand gegen den Lärm, den Konsum, den Betrieb und Kulturbetrieb der Zeit. Dies ist die Funktion, in der der einsame Hohepriester der Kunst hinter den goldenen Vorhang vor sein Allerhei-ligstes tritt.

Im Vorhof hingegen und weiter draußen die unabsehbare Menschenmasse, Völker und Rassen, Nationen und Gesellschaften, in tausend Sprachen hadernd und hassend, von Politik und Gesetz mühsam geordnet, lärmend, konsumierend, den Wonnen des Gewöhnlichen verfallen. Und immer wieder mittendrin steht da einer auf und fordert unter lautem Beifall: Wir brauchen Kunst, wir wollen Kunst fördern, das Leben ohne Kunst ist uns schal und sinnlos!

Kunst mit welcher Erwartung? Schönheit, Trost, Illustration, Kommunikation, Unterhaltung, Freizeitgestaltung, Angenehmes für Auge und Ohr, Wirtschafts- und Fremdenverkehrsförderndes, eben das Ornamentale, die Verzierung der Beton- und Gefühlswüste, Fahnen, Girlanden, Marschmusik, Tanz, Folklore, Krimi, Entspannung, Andacht, auch Sensation,-Kulturbetrieb, Kultur- und Festwochen, Im-Fernsehen-Sein, Kulturseite, Feuilleton.

Das ganze bunte Angebot Mephistos an Faust. Das völlig Konträre der reinen Kunstauffassung und der Erwartungshaltung der Gesellschaftmuß man sich einmal in dieser Form drastisch vor Augen halten, um zu verstehen, in welchem Konflikt der Kulturpolitiker steht, der als einer, der sich strebend bemüht, den Pakt der Vermittlung schließt.

Dem puren Künstler wird er stets als der alberne Spektakel-Referent erscheinen, der ihm bestenfalls den

Tribut der Gesellschaft für sein elitäres Amt erpreßt - und der Gesellschaft wird er nie genug Betrieb entwickeln können und dabei noch gefragt werden, warum das alles auch noch Steuergeld kostet. Er sollte das Kunststück fertigbringen, aus Feuer Wasser zu machen, aus Einsamkeit Massenunterhaltung, aus Idealen Ornamente und aus der Ewigkeit Zeitvertreib.

In dieser extremen Auslegung ist das Amt unzumutbar. Denn der nachdenkliche Kulturpolitiker wird, wie es eben Methode der Demokratie ist, einen Kompromiß suchen, den es nicht gibt, wenn weder die Kunst noch die Gesellschaft von ihren Erwartungen abgehen. Viel getan wäre schon damit, wenn die gegensätzlichen Standpunkte wenigstens klar erkannt und bekannt wären. Gegensätze können auf diese Weise nicht aufgelöst, aber dialektisch einander angenähert werden.

Erste These: Kunst ist hoch, aber nicht das Höchste. Höher steht der Mensch, für den die Kunst da ist. Die Gebote der Nächstenliebe und der sozialen Mitmenschlichkeit gelten auch für die Kunst. Dilettantismus oder Ornament aus Liebe sind daher unter diesem Aspekt eher zu rechtfertigen als ein sturer Purismus, der zwar das eherne Gesetz der Kunst erfüllt, aber dabei kalt und lieblos bleibt.

Zweite These: Viktor Frankl weist in seiner Logotherapie ernst darauf hin, daß der, der den Lustgewinn sucht, die Lust verliert. Das gilt auch für eine Gesellschaft. Wer im Kulturbetrieb nur das unterhaltende, das Konsumierbare und Ornamentale sucht, der sucht die Kunst und ihre Katharsis vergebens. Der Aufwand für einen massenhaften Kulturbetrieb ist daher kein Maßstab für wirkliche Erlebnisse. Kulturpolitik hat recht, wenn sie behauptet, nur den Rahmen herstellen zu können.

Es gibt keine Synthese. Kunst und Gesellschaft bleiben in einem Spannungsverhältnis. Wenn das nicht so wäre, erlitten sie den geistigen Wärmetod. Wichtig ist jedoch, daß die Gegenpole einander im Blickfeld bleiben. Kulturpolitik darf sie nicht verschleiern oder vernebeln, sondern muß werbend jeweils für das Verständnis der anderen Seite eintreten: Unter Künstlern für die Gesellschaft - und in der Gesellschaft für die Kunst.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung