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Das Ungewitter

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Wir gingen das Ufer entlang, wo Fischer saßen; in einem Netzkäfig, halb im Wasser, sah man die Beute, einige unbewegliche Fische und einen größeren schillernd-weißen Leib, dessen Kiemenflossen von Blut trieften; der Fisch lag platt auf dem Wasser, die Seite nach oben gedreht, himmelängstlich anzusehen, beengt und halb verstummt, aber gerade deshalb voll der kreatürli chen Sprache, die den Menschen im Menschen ruft.

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Wir gingen das Ufer entlang, wo Fischer saßen; in einem Netzkäfig, halb im Wasser, sah man die Beute, einige unbewegliche Fische und einen größeren schillernd-weißen Leib, dessen Kiemenflossen von Blut trieften; der Fisch lag platt auf dem Wasser, die Seite nach oben gedreht, himmelängstlich anzusehen, beengt und halb verstummt, aber gerade deshalb voll der kreatürli chen Sprache, die den Menschen im Menschen ruft.

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Der Schleier am Rand des Horizonts verfärbt sich bald ins Gelbe, zugleich wurde er dringlicher als bisher, das Blaugrau darüber höher und beherrschender. Es waren saftgelbe, giftgrüne, rotgeschwollene Töne darin enthalten, geronnene Blitze gleichsam und entzündlich gewordener Donner! Wir wollten uns nicht daran kehren und lagerten uns im stumpfen Gras. Ein überströmender Gewitterregen wäre uns sogar willkommen gewesen, das Laue des Tages abzuwaschen. Aber die Faust hieb vorzeitig nieder.

Statt der vielen Anstalten, die sonst ein solches Unwetter trifft, ehe es sich etabliert, bekamen wir nur einen einzigen leichten Luftschlag zu spüren, dann grollte, riß und zuckte es bereits auf uns nieder, und hitzig ergoß sich das rasend verschwollene Gelb, ein Sandregen, der in horizontaler Richtung ankam und statt zu fallen stieg, sich in den Lüften mit wäßrigen Tropfen paarte und in schreiender Parthenogenese ein Ungetüm zeugte, welches pfeifend und erbost über das Land fuhr!

Man sah es nicht, aber man wußte, daß es herrisch zwischen den Stämmen hindurchschritt, flügelschlagend und voll feuriger Bosheit. Die Bäume gruben ihr Gesicht in die Erde, in Demut und Schmerz, es riß unbarmherzig an ihren Kronen, an den Fenstern der Häuser, und lose Blätter zersplitterten im luftigen Kehraus; fühlbar war der Zug der Baumwurzeln am guten Mutterboden.

Der Fluß, der brave und weite Fluß, trug die Schwärze eines Pestkranken im Gesicht; nicht wollten wir, dem Druck des Sturms folgend, ihm uns nähern. Sein Blut stockte, er lief dunkel an, dann erstarrte er in einem pasten- haften Schwarz, auf dessen widerwilligen Wellen gischtweiße Kämme saßen. Die Fähre war nicht mehr zu sehen, kein Boot, kein Mensch.

Mit Kräften, die wir übermenschlich nannten, kämpften wir gegen den Orkan an, um zum nahen Dorf zu kommen. Aus einer großen Linde am Ortseingang fetzte der Sturm Harfentöne wilden Leids. Dann schlug maßloser Regen auf die Gemarterte nieder, Gießbäche strömten in Augenblicken schon die Dorfstraße herab, die Wetter wollten in gärender Wut austoben, was sich schwärend zusammengeballt hatte.

Hilflos und erstarrt standen die Menschen vor der entfesselten Urgewalt, erdrückt von der jähen Majestät, zu Dank bereit für die Offenbarung des Elementaren, Unbezwinglichen, Überraschenden. Wie schüttete der Sturm die Schin deln aus den Dächern, die Drähte von den Masten, die Schilder von den Stangen! Er beutelte und zerrte und richtete in weniger als einer halben Stunde mehr Unheil an, als die still wachsende Natur und das Ameisenwerk der Menschen in Jahren fertigbringen.

Es wurde heißer gegessen als gekocht wo'rden war.

Bald lagen dicke und schmale Stämme quer über die Straßen, knorrige Äste von Schenkeldicke waren aus den Leibern der Bäume gerissen, fri-, scher Duft von ihrem Blut quoll auf. Die Gefallenen regten sich nicht, sie zitterten nicht und wichen nicht; so stark war die Erschütterung der Lüfte gewesen, daß Bersten und Schreie des brechenden Holzes darin untergingen.

Als wir uns der Stadt näherten, war alles vorüber. Die Straßenbahnschienen hatten einen schwefelgelben Überzug, Rost, den keine Reibung glättete. Die Wagen standen gebannt an verlorenen Stellen der Strecke. Einige Schutzleute verriegelten Straßen.

Die Atmosphäre hatte ausgeweint, und so friedlich, ja beglückt wollte sie erscheinen, als hätte sie Schweres gut hinter sich gebracht. Würzig roch es wie von Maiengrün. Farbig herausgeputzt schlenderten die Menschen über die Stätten der Verwüstung, sprachen sich an und führten ihre Phantasie aus. Obwohl das Unglück groß erschien, war alles heiter erregt, voll kindlichem Staunen und Empfänglichkeit.

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