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Digital In Arbeit

Du sollst nicht töten

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Auf der Suche nach einem alten Manuskript kramte ich unlängst in den verstecktesten Tiefen meines Schreibtisches herum, wo ich mir schon seit Jahren nichts mehr zu schaffen gemacht hatte. Da fiel mir eine Holzschachtel in die Hände, der noch ein leichter Tabakgeruch entströmte. Ich habe mehrere solcher Zigarrenkistchen in meinen Schreibtischladen als Behälter für Bleistifte, Ansichtskarten und anderen Krimskrams. Sie stammen noch aus meinen Jungentagen, wo ich sie von Großvater erbettelte, der ein passionierter Zigarrenraucher war. Nach und nach haben sie alle ihren bestimmten Inhalt und ihren festen Platz zugewiesen erhalten, untd der aromatische Geruch, der ihnen noch immer anhaftet, gehört zur

Atmosphäre meines Arbeitstisches wie die Schreibmaschine, die Stehlampe und das Bild meiner Fnau.

Von diesem Kistchen da, das ich nun in der Hand hielt, wußte ich im Augenblick nicht zu sagen, was es enthielt, und ich öffnete neugierig den Deckel. Da lag, noch in leidlich gutem Zusammenhänge, das vielfach gekrümmte Skelett einer Schlange, aus Hunderten von weißen Wirbelknöchelchen gebildet, von deren jedem sich nach beiden Seiten die schmalen Sicheln der Rippen schwangen. Audi der flache Schädel mit den großen Augenhöhlen fehlte nicht.

Während ich nachdenklich diese Reste eines einst lebendigen Wesens betrachtete, wanderte ich eine lange Reihe von Jahren zurück und war wieder der dreizehnjährige Realschüler, der die Ferien bei den Großeltern in Sauerbrunn verbrachte und der beim Durchstreifen der waldigen Hügel, der Wiesen und Täler die Liebe zu allem Lebendigen lernte. Aber damals hatte ich die Liebe noch nicht; nur die bohrende Wißbegier, das Staunen, das jähe Zutappen, di Freude am Erkennen des bisher Verborgenen, den seltenen Schauer im Ansdiauen de absolut Reinen und Schönen und manchmal wohl auch die Furcht vor der Gefahr; aber die Liebe hatte ich noch nicht, sonst wäre die Geschichte mit der Ringelnatter wohl kaum passiert.

Ich wäre fast mit dem Gesicht auf sie gestoßen, als ich mir durch das Dickicht einet mit Jungbolz bestandenen Hanges,

der vom Bachgrund bergwärts führte, den Weg bahnte. Sie lag im Geäst eines Strauches, wo sie wahrscheinlich auf Laubfrösche Jagd gemacht hatte. Ihr stahlgrauer, glänzender Schuppenleib ruhte, in geschmeidige Windungen gelegt, auf einem Zweig, der sich unter ihrer Last senkte. Hell leuchteten zu beiden Seiten des Kopfes die gelblichen Flecken, das untrügliche Kennzeichen ihrer Art. Die dunkle, gegabelte Zunge fuhr Witterung nehmend hurtig durch die schmale Mundspalte aus und ein. Oft genug war ich ihresgleichen am Bache drunten begegnet und hatte mich ihrer wunderbar fließenden Bewegungen gefreut. Furcht hatte ich nie vor ihnen empfunden — wußte ich doch, daß sie nicht zu den

Giftschlangen gehörten —, wohl aber jene Scheu, jenes instinktive Zurückbeben, das der Mensch seit Paradiesestagen vor dem glatten Versucher hat. Und doch, aus gesicherter Entfernung erschienen mir die Nattern dämonisch schön, wie sie so gewandt, kraftvoll und grausam über den feuchten Grund zogen, das maskenhaft unbewegte Haupt ein wenig erhoben indes der muskulöse, straffe Schuppenleib jedes Hindernis spielend überwand oder ihm auswich. Oder gar, wenn sie durch den Tümpel auf dem Grunde der alten, aufgelassenen Sandgrube schwammen: voll Entzücken beobachtete ich dann das Hingleiten des elastischen und biegsamen, peitschenschlanken Leibes über die Wasseroberfläche, aus der sie rätselhafterweise keine Wellen furchten. Die Bewegung der Schlange hat nicht ihresgleichen in der belebten Welt. Da ist kein Schritt, kein Sprung, kein Flossen- oder Flügelschlag, überhaupt keine rhythmische Wiederkehr bestimmter Bewegungselemente, da ist nur jenes geheimnisvolle, stete, lautlos ziehende Vorwärtsfließen, das uns erschreckt und uns mit Grauen erfüllt, weil es so unsagbar fremd ist, das uns aber auch gefangennimmt durch seine fremdartige, bannende Schönheit.

Nun aber, da ich plötzlich aus nächster Nähe die starren Augen auf mich gerichtet sah, die unerbittlichen, durch den schmalenPupillenschlitz geteilten liidlosen Augen des Erbwidersadiers des Menschen, da überkam mich jäh die uralte Feindschaft. Zurückzuckend in Ekel und Abscheu, schwang ich die Haselgerte, die ich immer bei mir trug, zum pfeifenden Schlag. Mit gebrochenem Rückgrat ließ sich die Natter zu Boden fallen und versuchte, mit zuckenden Krümmungen zu entkommen. Zu spät erkannte ich, was ich getan, erkannte voll Entsetzen die Qual des Geschöpfes, die ich verursacht hatte; erkannte die Unmöglichkeit, die Tat wieder gutzumachen. Ja mehr: ich erkannte, daß ich das Tier vollends töten müsse, wollte ich es nicht in einem Versteck elend zugrunde gehen lassen. Und mit zusammengebissenen Zähnen schlug ich weiter .zu, bis ein gnädiger Hieb den Kopf des Reptils traf und es sich nicht mehr regte. Diese Streiche, geführt voll verzweifelten Mitleids, ohne die Rechtfertigung der Notwehr, ohne den Sporn des Schreckens, ohne den dumpfen Zwang der Wut, ja wider alle Regungen des Gefühls, trafen auch mich.

Und nun ich als „Sieger“ vor der toten

Schlange stand, die seltsam geknickt, aber äußerlich ohne merkliche Verstümmelung — freilich auch ohne die Anmut der vollendeten Linie, die sie im Leben besessen — vor mir lag, da fühlte ich mich von ihr besiegt, weil sie mich gegen mein Wissen und Wollen gereizt und gezwungen hatte, sie zu töten.

Als ich nun nach drei Jahrzehnten das Skelett dieser Natter wiedersah, mit den Spuren der sinnlosen Schläge an Schädel und Wirbeln, da dachte ich bei mir, daß die Menschheit einem dreizehnjährigen Knaben gleiche, der oft zuschlägt aus Angst und Unwissenheit oder einfach, weil er einen Stecken in der Hand hat. Und weil er die Liebe nicht hat, die das Verstehen leicht macht. Und aus dem Fluch des ersten Schlages wächst der Zwang der nächsten. — Heute würde ich, wenn ich der Natter begegnete, ohne Haselgerte sein; ich würde sie freundlich anschauen, wie sie ihr kluges Köpfchen züngelnd mir entgegenhebt —

und sie würde erkennen, daß ich weder Beute noch Feind für sie bin, und würde davongleiten in die Weite des Buschwaldes, der Raum genug und übergenug für uns beide hat. Und ich hätte die Erinnerung an ein freundliches Erlebnis statt eines bleichen Skeletts.

Damals, vor dreißig Jahren, lief ich von der toten Schlange fort, so wie ein junges Gräslein sich aufrichtet, nachdem ein schwerer Huf es niedergedrückt hat, Ich kam mit einer leeren Konservenbüchse wieder, in die ich mit einem Nagel viele Löcher geschlagen hatte. In diese Dose tat ich die Natter und vergrub den Sarg in einem der großen Ameisenhaufen, die am Waldrand am Fuße alter Föhren sich türmten. Nach einigen Wochen war das Werk getan: die emsigen Bewohner des Hügels hatten meine Natter fein säuberlich skelettiert, wie es ein er- fahrenr Präparator nicht besser hätte tun können. Und dann bat ich Großvater um eines seiner tabakduftenden Kistchen.

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