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Der nachste Agent

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Daß der Agentenroman mit Niveau fast schon zum Monopol britischer Autoren geworden ist, kann man nur noch staunend zur Kenntnis nehmen. Warum bringen die deutschen und österreichischen Autoren mit ganz wenigen Ausnahmen diese linealglatten Handlungen im vertrauten oder exakt recherchierten Milieu mit den im selbstverständlichen Seitenblick auf die selbstverständliche Verfilmung eingearbeiteten Action-Szenen, diese knappen, aber exakten und dabei niemals (oder wenigstens selten) kaltschnäuzigen MensChenschiilde-rungen, diese trotz strenger Schemabefolgung nie langweiligen Entwicklungen nicht fertig? Warum stolpern sie ständig mit dem Bein des falschen Anspruches über das Bein des nüchternen, professionellen Kalküls? Wahrscheinlich liegt es an der Lebenslüge der deutschen Literatur, die sich in ebendiesem einen Wort, Anspruch, zusammenrfassen läßt.

Hingegen hat der britische Journalismus schon wieder einen neuen Maßschneider mit den Materialien des Lokalkolorits und der Spannung hervorgebracht. Gerald S e y m o u r hat moderne Geschichte studiert, als bekannter Fernsöhreporter über alle möglichen Krisen und Kriege und einige Zeit auch über den nordirischen Bürgerkrieg berichtet. Das Ergebnis von letzterer Tätigkeit ist der Roman „Das tödliche Patt“. Die Hanidilung beginnt in London und endet in Belfast.

Man muß wahrscheinlich lange nachdenken, um ein Thema mit so einfachen Mitteln in den Griff zu bekommen. Denn Seymours Unterfangen, auf 320 Seiten nicht nur zu unterhalten, sondern dem Leser auch einen Begriff vom Herkommen, vom Denken, Fühlen, von den Motiven eines IRA-Terroristen zu geben, konnte sehr leicht auch schiefgehen. Gerade hier, wo sich das Zurschau-tragen eines ethischen Engagements-dem Autor so sehr angeboten hätte, wäre das Ergebnis möglicherweise unerträglich ausgefallen.

Der Erzähler bleibt cool. Kaltschnäuzig wird er nur dort, wo er über die Motive und Verhaltensweisen dessen schreibt, der einen britischen Soldaten als Agenten in das katholische Falls-Viertel in Belfast einschleusen läßt, um den Mörder eines britischen Ministers zur Strecke (und die britische Öffentlichkeit zum Schweigen) zu bringen, und das ist ein — selbstverständlich fiktiver — Bewohner des Londoner Hauses Dcwning street 10. Die Schurken sind hier, auf beiden Seiten des Bürgerkriegsgrabeins, jene, die andere Menschen ins Feuer schicken. Für die, die dort umkommen, auf beiden Seiten, hat er nur Mitleid. Und das Schöne daran ist, daß man es spürt, daß er es aber nicht sagt.

Dieser Roman bietet zweierlei, und bleibt eines schuldig. Er bietet eine beängstigend echte Zeichnung der Bürgerkriegsstadt Belfast, in der, wie ich nach einigen Aufenthalten dort bestätigen kann, jedes Detail daran ebensowenig wie der kurze Auftritt von Harry Brown in dieser seiner Welt.“

Man denkt einen Moment an „Im Westen nichts Neues“, man denkt bei der Lektüre vor allem oft an James Mason in dem uralten Sinn-Fein-Film „Odd man out“.

Schuldig bleibt Seymour die eine, die einzige Szene, in der ein protestantischer Scharfschütze hinterrücks einen Katholiken erschießt oder eine protestantische Bombe in ein katholisches Pub fliegt. Aber man erfährt ja auch nicht, welche Religion der eingeschleuste Geheimagent hat, man kann es höchstens erraten. Der Mann, der dieses Buch schrieb, kommt nun einmal aus England — und dort sollte dieses Buch ja auch primär gelesen werden. Und jede Bereitschaft zur Selbstkritik, auch jene, die das äußerst unliebenswürdige Porträt eines Bewohners von Downing street 10 noch hinimmt, hat irgendwo Grenzen — irgendwo in der Irischen See.

DAS TÖDLICHE PATT. Roman von Gerald Seymour. List-Verlag, München, 320 Seiten, öS 192,50.

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