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Der „zerrissene” Richard

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Manfred Weckwerth, ein Schüler Bert Brechts, Regisseur von gewissem Rang in Ost-Berlin, der schon vor einem Jahr in Zürich ein Stück Gorkis inszenierte, hat im Zürcher Schauspielhaus jetzt seinen „Richard III.” herausgebracht — Ich sage „seinen”, denn er zeichnet nicht nur als Regisseur, sondern auch als Übersetzer und Bearbeiter.

Von der Bearbeitung ist eigentlich wenig zu spüren. Shakespeares Text ist — man muß heute schon wirklich sagen glücklicherweise und erstaunlicherweise — im wesentlichen beibehalten. Die Übersetzung ist eigentlich nichts anderes als eine Vergröberung von Schlegel. Etwa: „Ward’ je in dieser Laun’ ein Weib gefreit, ward’ je in dieser Laun’ ein Weib gewonnen?” wird zu: „Ist das die Tour, wie man jetzt Frauen wirbt? Ist das die Tour, wie man sie jetzt herumkriegt?”

Das entscheidend Neue an dieser Inszenierung, die vor zwei Jahren in Ost-Berlin ein starker Erfolg war, verdankt Weckwerth dem Leipzigei Anglisten Robert Weimann, der ein Buch über „Shakespeare und die Tradition des Volkstheaters” geschrieben hat, nach Weckwerth das vermutlich „beste” Buch über Shakespeare — wie viele von den mehreren tausend einschlägigen Werken über Shakespeare mag er wohl gelesen haben? Zwei? Fünf?

Weimann hat nun entdeckt, daß Richard nicht nur eine Theaterfigur des hemmungslosen Verbrechers sein soll, der nach Macht strebt, sondern auch eine Art Conferencier. Das alte engliche Volkstheater kannte die Figur des sogenannten „Vice” (Laster), der mit einem Buk- kel behaftet war und hinkte und zwischen dem Publikum und den Schauspielern vermittelte. Grund für diese interessante, aber keineswegs glückliche Deutung: Richard III. ist bucklig und hinkt. Zumindest könnte man einwenden — und ich möchte es —, daß Shakespeare seinen Richard III. so häßlich gemacht hat, um zu zeigen, wie ein Mann, der so gar nicht dazu prädestiniert ist, Menschen an sich zu ziehen und mitzureißen und durch sie an die Macht zu kommen, es eben durch seine hohe Intelligenz und seine Unbedenklichkeit in puncto Mord schafft. Daß er es schaffen würde, wäre er ein gutaussehender, liebenswürdiger, charmanter Mann, wäre doch wohl uninteressanter, eben weil verständlich. Und daß — dies ganz nebenbei — zumindest der Hinkefuß schon in grauen Vorzeiten das Wahrzeichen des Teufels ist, also durchaus einem Bösewicht zu- kommt, sei hier nur am Rande vermerkt.

Man fragt sich hinterher: Wozu dieses ganze Geschwafel vom Vice? Um so mehr als die Aufführung sehr stark ist. WeOkwerth besitzt als Regisseur einen hohen Rang. Über zwanzig Bilder rollen fast pausenlos und sozusagen organisch ab, über sechzig Personen bevölkern die sonst leere Bühne. Unbedingt genannt werden müssen der ironisch überlegene, so gar nicht schurkische Buckingham von Peter Arens, Ingold Wildenauer und Walo Lüönd als Mörderpaar, die gut aussehende Anne Maria Dermon als häßliche, ältliche alle und alles verfluchende Königin Margarethe, Renate Richter als äußerst stilsichere, präzise Lady Ann, die vielleicht des Regisseurs Absicht, die Hohlheit und Dekadenz des Adels zu „entlarven”, am konsequentesten erfüllt. Und natürlich Helmuth Löhner als Richard. So wie man sich den Richard nicht vorstellt: schmal, betont jung und trotz Klumpfuß und Buckel eher attraktiv. Er spielt noch die vertraktesten Verführungsszenen — und Richard verführt ja am laufenden Band, Männer und Frauen — so, daß sie ganz selbstverständlich wirken. — Er hat alles: Geist, Witz, Charme, Präzision. Nur — man fürchtet sich nicht vor ihm. Das kommt davon, wenn man sich als „Vice”, als Confėrencier, mit dem Publikum an- biedem muß.

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