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Die „Abscheu" vor den Wiener Zentralisten

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In der Monarchie drängten die unterschiedlichsten Begabungen aus allen Ländern nach Wien; dort vergaßen sie mehr oder minder rasch die angestammte Heimat. Vielleicht wurden sie Wiener, vielleicht wurden sie Österreicher. Und erst als sie sich besonders leidenschaftlich an ihre Heimat zu erinnern begannen, mußte dieses Österreich an seinen Nationen scheitern.

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In der Monarchie drängten die unterschiedlichsten Begabungen aus allen Ländern nach Wien; dort vergaßen sie mehr oder minder rasch die angestammte Heimat. Vielleicht wurden sie Wiener, vielleicht wurden sie Österreicher. Und erst als sie sich besonders leidenschaftlich an ihre Heimat zu erinnern begannen, mußte dieses Österreich an seinen Nationen scheitern.

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Damals kehrte man aus der Reichsund Residenzstadt zurück und konnte vom Glanz und von der Macht des Hofes berichten, man erlebte europäische Kultur, man wußte Schifffahrtspläne aus Triest.

Heute fragt man einen „Auswanderer" aus Tirol oder Vorarlberg, besonders aber einen aus der Steiermark, was er denn zu Hause ausgefressen habe, daß er sich nunmehr nach Wien verdingen müsse. Auch mein steirischer Nachbar sagte zu mir, als ich vor wenigen Jahren „etwas mehr" nach Wien ging: „Waßt, aufi und außi möcht i a, oba nach Wean außi gangat ich nia."

So, und jetzt stecken wir in einer Föderalismusdiskussion. Im Moment denke ich nicht an Paragraphen, die die Selbständigkeit der Länder, der Gemeinden und der Regionen stärken sollen. Ich erliege vielmehr der Versuchung nachzudenken, was man denn so fühle, wenn's um den Föderalismus geht.

„Ubelbacher san ma, lauta fesche g'sunde Bana, jedes Madl muaß sie schama, das kan Ubelbacher hat", fällt mir als erstes ein. Das Lied aus meiner Kinderheimat Übelbach in der Steiermark. Und ich weiß noch genau, daß es zwischen den Kindern des Marktes und jenen aus den umliegenden Gräben laufend Kämpfe gegeben hat. Man war Angehöriger seiner engsten Gemeinschaft und das mit Leidenschaft.

Zur schulischen Abrichtung schickte man mich nach Graz in ein Heim. Ein älterer Heimschüler begrüßte mich Zehnjährigen markig: „G'scherter, schau net so verrärt, sonst sauf ich dir ein Aug aus." Gemäß den bisherigen Gepflogenheiten fiel meine Antwort handgreiflich und siegreich aus.

Vor wenigen Jahren wohnte ich einer Bürgermeisterbesprechung im nördlichen Tirol bei. Ein Bürgermeister weigerte sich ganz entschieden, daß seine Gemeindekinder gemeinsam mit jenen des Nachbartales in ein und demselben Schulbus fahren sollten. Mit denen habe man noch nie etwas zu tun gehabt und möchte auch in Zukunft nichts zu tun haben. Was ich zunächst für einen Scherz hielt, stellte sich als schwieriger Verhandlungsgegenstand heraus. Diese Gespräche lagen zeitlich nach dem Weltraumtreffen der Russen mit den Amerikanern.

Aus dem Geschichtsunterricht sollte man besser manches vergessen. Daß sich die Kärntner für ihren südlichen Teil wacker geschlagen haben, daß sich die Tiroler sehr lange überlegt haben, ob sie denn eigentlich Österreicher sein bzw. werden wollten, wenn man sie nicht Tiroler bleiben ließe, hat mich immer ein klein wenig mit Neid erfüllt. Meine Selbsttäuschungsversuche, Erzherzog Johann gegen Andreas Hofer aufzurechnen, mußten angesichts des kampflosen Verlustes der Südsteiermark mißlingen. Eines tröstet mich ein wenig, wenngleich es meine Bosheit entlarvt: die Heimat des Vorsitzenden der 17er Reformkommission der ÖVP, Landeshauptmann Herbert Kessler, und der Hort des Föderalismus ist gar käuflich durch die Habsburger erworben worden.

Viele, viele Steierer wissen und leben danach, daß wir mit der Geor-genberger Handfeste aus dem Jahre 1192 einen ewigen Freiheits- und Selbstständigkeitsbrief besitzen. Und, es muß einmal gesagt werden, daß wir nicht nur freiwillig zu Österreich gekommen sind, sondern es

auch noch die steirischen Fähnlein waren, die den Rudolf von Habsburg vor dem Böhmenkönig gerettet haben. Zumindest vermittelte Grillpar-zer diesen Eindruck.

Daß die Steierer auch sonst gelegentlich Fähnlein nach Wien schik-ken, soll wahr sein. Gar bunte Köpfe und krause Ideen gab es da in den letzten 50 Jahren. Vor kurzem sprach ich in meiner steirischen Heimat zur Parteireform. Man war unter sich und aggressiv. Und als ich Amts- und Informationsvorteil dazu mißbrauchte, einen alten politischen Weggefährten niederzufahren, rächte er sich mit der infamen Unterstellung: „Du hast a

wienerische Färb ang'nommen." Ein anderer warf mir voll Abscheu ein wütendes „Zentralist" an den Kopf.

Die Bundesländer dürfen gelegentlich um eine Nasenlänge voraus sein, das macht den Föderalismus liebenswert. Wie schön, daß sich hierorts in der Bundeshauptstadt rund um einige Leute, die alternative Ideen herausstellten, sich eines der größten und werbewirksamsten Tumulterln entwickelte. Ja, ein Jahr zuvor hatte sich bereits die Steirische Akademie mit diesem Thema gründlich auseinander gesetzt. Das Motto lautete damals „Umkehr in die Zukunft - Alternativen, Vision und Praxis".

Der Steirische Herbst fächelt allen progressive Luft zu, auch wenn die Steirer spärlicher dorthin gehen oder nur hingehen, um sich über den Sittenverfall zu entrüsten.

Was ist nun Föderalismus ganz genau? Ist er gleichzusetzen mit Eigenständigkeit, Freiheit in Geborgenheit? Ist er ein Miteinander unter be-

sonderer Beachtung der Eigenheiten der Partner? Ist er schlicht der Respekt vor Anderssein und Minderheit? Ist er Bekenntnis zu Traditionen, liegt in ihm die Uberschaubar-keit, die Möglichkeit zur Identifikation? Ist er der Aufruf zu Selbstverantwortung, festigt er die Gleichrangigkeit der Gliederungen?

Für mich ist Föderalismus von allem etwas und noch mehr. Aber was genau, wissen wir wahrscheinlich alle noch nicht so recht. Sicher ist

nur, was Föderalismus nicht ist: Separatismus, Provinzialismus, Kantönligeist, Kirchturmhorizont, ein Ordnungssystem für Sumperer oder einfach ein Anti-Wien-System. Das alles ist er nicht. Nun: wenigstens ein Ansatzpunkt für die Föderalismusdebatte, sicher ein nicht unwesentlicher.

Walter Heinzinger ist Generalsekretär des Arbeiter- und Angestelltenbundes der ÖVP.

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