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Kotau vor dem Nachbarn

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Vor einiger Zeit lief in unserem Fernsehen der uralte Film „Riesenrad“, und obwohl ich gerne den anderen Kanal eingeschaltet hätte - ein deutsches Fernsehspiel mit Pinkas Braun und Gerd Westphal -, entschied ich mich, wie immer, für das österreichische. Und ich habe es nicht nur nicht bereut, nein, ich habe es genossen. Vielleicht grenzte es an Kitsch, aber es war unsagbar erfreulich. Nicht allein wegen des sauber gemachten Films, nicht allein wegen der vielen lieben, bekannten Gesichter (die Gessner, der Forster, die Franzi Tilden, der Hruschka und alle die anderen), sondern wegen der Tatsache, daß dieser Film so unerhört österreichisch ist.

Der geliebte O. W. Fischer, die wunderbare Maria Schell: beide waren von einer Leichtigkeit, einer Noblesse, wie man sie heute nicht mehr findet.

Da ist einer, der einen Frack tragen kann, der wie ein Mensch geht und wie ein Wiener redet. Ein wenig Lässigkeit, ein wenig Fahrigkeit, Trauer im Glück, Glück in der Trauer: Der österreichische Mensch, wie ihn Anton Wildgans gesehen und skizziert hat, ist in diesem Schauspieler Fleisch und Blut geworden. Ein leicht genäsel-tes „Servus“ erschüttert mehr als ein geröhrtes „Wer ist so blöd und sieht nicht auf den ersten Blick: Betrug!“ Und die Schell: mädchenhaft, fraulich, berührend und schön.

Ja, damals, als wir noch Mut zum Osterreichischen hatten, als wir noch nicht unter der Zuchtrute der nördlichen Schnoddrigkeit keuchten, als wir noch Würde hatten, da war es möglich — und es wär's heute auch noch, hätten wir nur etwas mehr Rückgrat! -, einen ganzen Film lang Wienerisch in seiner edelsten Form zu reden.

Und man hat uns überall verstanden, mindestens so gut, wie wir leidgeprüften Fernsehzuseher heute die „Tatorte“ und dergleichen verstehen müssen. Aber wir fressen, „alles klar!?“, ja wirklich alles, was uns an „dollen“ Superspitzen vorgequasselt wird: Die Pfunde, die Grieben, den Blumenkohl, das Pils und die Pommes (gesprochen wie geschrieben) und auch „die Schnurzpiepe sich verpissenden Bengels, die so wonnig zu labern verstehen“. Und wir kapitulieren müde und lassen uns wieder einmal vereinnahmen, weü „mir halt a Ruah ham wolln“ und es so wichtig ist, daß der Eiskasten (Verzeihung, der Eis-Schrank) voll ist.

Was da stattfindet, ist ein Ausverkauf der Presseerzeugnisse, Besitzergreifung der großmäuligen Modernität von unseren alten Kultureinrichtungen, Verhunzung der Sprache im Populär-Ra-dio: Tschüs, Tschau und Bis dann — Klasse! Und keiner schämt sich, keiner macht das Maul auf wie es die anderen tun, denen man Millionen in den Rachen wirft, Millionen, die sie ihren eigenen Landsleuten schon längst nicht mehr wert sind.

Das hat bei Gott nichts mit Fremdenfeindlichkeit, aber wohl ein wenig mit Patriotismus zu tun. Ich sage es mit Angst, ja, ich habe Angst davor, daß wir uns damit abfinden könnten, wieder einmal eingeebnet oder — wenigstens geistig — eingemeindet zu werden, ö 3 ist dominiert von amerikanischer Musik, und die Moderatoren sprudeln piefkenesische Big-Macs ins Mikrophon. Wolfgang Riemerschmieds Stimme und Axel Cortis Texte sind dagegen Labsal wie ein warmer Regen.

Es wird davon geredet, daß wir uns der Europäischen Gemeinschaft nähern müssen. Aber wenn es sein muß — manche bezweifeln das, so wie die Finnen und die Schweizer es tun -, dann doch um Gottes Willen nicht mit schlotternden Knien und mit gekrümmtem Rücken! Wir sollten versuchen, eher ein Volk aufrechter Pikkolos zu sein als eines von demutsgebeugten Oberkellnern.

Als wir noch Selbstbewußtsein zeigten, Mut und Würde hatten, da lächelte man vielleicht über uns, bemitleidete uns ein wenig, aber man respektierte uns. Heute — und da ist nicht einer allein schuld, da hat sich ein ganzes Volk versündigt - lacht man über uns. Wenn Opportunisten glauben, daß man unser „Imätsch“ durch bombastische Reden und idiotische Phrasen aufpolieren kann, dann ist das ihre Sache. Wir, die wir das haben, was bei uns verpönt, in anderen Ländern aber als Tugend angesehen wird, nämlich Patriotismus und Nationalbewußtsein, wir wissen: Nichts imponiert den Nachbarn mehr als Festhalten an den Eigenheiten, Hervorkehren des Gewachsenen, Bewahrung des Unterschiedes.

Man kann auch als guter Österreicher ein guter Europäer sein. Und deshalb: Schmach und Schande über die Zeitgenossen, die sich zufriedengeben wollen mit dem Umstand, daß wir allmählich zu einem Appendix verkümmern. Hat uns schon die Theorie von den zwei deutschen Staaten einmal in den Abgrund rutschen lassen — die vom anpas-serischen Drittstaat ist mindestens ebenso gefährlich. Darum:

Ein leicht genäseltes „Servus“ kann mehr aussagen als ein geröhrtes „Wer ist so blöd und sieht nicht auf den ersten Blick: Betrug!“

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