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Die auf Liebe gegründete Gesellschaftsordnung

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„Die auf Liebe gegründete Gesellschaftsordnung ist am Werk”, stellte Papst Paul VI. im Sommer vorigen Jahres vor dem Kardinalskollegium fest. Das Heilige Jahr 1975, in der ganzen Christenheit begangen, beginnt seine Früchte zu bringen.

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„Die auf Liebe gegründete Gesellschaftsordnung ist am Werk”, stellte Papst Paul VI. im Sommer vorigen Jahres vor dem Kardinalskollegium fest. Das Heilige Jahr 1975, in der ganzen Christenheit begangen, beginnt seine Früchte zu bringen.

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Die Periode, die die Kirche durchschreitet, erweist sich nach wie vor als heikel. Im Zeichen des alten Widerstreites zwischen Altem und Neuem, der heute in den der Gegenwart entsprechenden Formen und Verhältnissen wiederkehrt, erschüttern Trennungen und Schwierigkeiten die Kirche in ihrem inneren Zusammenhalt. Anstatt auf dem Wege einer legitimen Dialektik in eine höhere Synthese einzumünden, läßt das Streitgespräch eine extreme Polarisierung zwischen dem der Vergangenheit total verhafteten konservativen Denken und dem bis aufs äußerste auf die Zukunft ausgerichteten Progressismus aufscheinen.

Gelegentlich spricht man von der „schweigenden Mehrheit”, eine Definition, welche auch aus dem Bedürfnis nach einem Damm gegen die wachsende Wortüberschwemmung schafft, die jedoch ihr Dasein einem zumindest zweifelhaften „Stil” verdankt. Ich würde einen Ausdruck vorziehen, der auf sachgerechte Weise die tägliche Hingabe, die demütige und schweigende Treue zum authentisch und folgerichtig gelebten Glauben hervorhebt, einem Glauben, der Tag für Tag in die geschichtlichen Ereignisse ausstrahlt, der auferbaut wird durch das Leben und Wirken aus christlicher Grundeinstellung.

Hier haben wir die Bauleute der „auf Liebe gegründeten Gesellschaftsordnung” der Gesellschaft imZeichen der Liebe vor uns. Wie in jeder Leidenszeit, zweifelt die Kirche auch in der gegenwärtigen Lage weder an ihrer Bestimmung noch an der Fruchtbarkeit ihrer Sendung. „Der reifende Glaube, die Unterscheidung der Geister, das wachsende Bewußtsein der eigenen Verantwortung, die zunehmende Zahl der Berufung”, so betont Papst Paul VI., sind Elemente, die die Keime der Zwietracht, die Angriffe des Zweifels und die Zweideutigkeit zurückdrängen. Hier geht es um das geheimnisvolle und reale Wirken des Heiligen Geistes, um die in unserer Zeit stattfindende Einlösung des Versprechens eines Beistandes, für den sich der göttliche Gründer verbürgt hat

Die „auf Liebe gegründete Gesellschaftsordnung” stellt die Formel dar, in der der Papst, gewissermaßen wie in einem von innerem Leben erfüllten Grundriß, die geistlichen Früchte und Erfahrungen des jüngst gefeierten Jubiläumsjahres der Christenheit hat sammeln wollen, in der er jedoch auch die Weisungen für die kommenden Jahrzehnte, die das Vorspiel des neuen Jahrhunderts sein werden, zusammenfaßte. Ein Sauerteig, der dazu bestimmt ist, nicht nur die kirchliche Gesellschaft, sondern die gesamte menschliche Gemeirischaft zu durchdringen, damit diese in ihren unendlichen Mühen fähig werde, sich auf jene geistlichen Werte auszurichten, die imstande sind, ihr einen echten Fortschritt zu sichern.

Es braucht einen solchen Sauerteig. Man kann sogar sagen, daß die Spuren dieses Bedürfnisses eben in den Anstößen zu Einigung und Zusammenarbeit zwischen Völkern, zwischen verschiedenen Stämmen und Kulturen sichtbar werden: eine Erscheinung, die jenseits der Spannungen und Gegensätze das „andere Antlitz”

unserer Epoche darstellt. Das gesamte internationale Zusammenspiel ist mit seinen bemerkenswerten Anstrengungen um gegenseitige Verständigung die weitestgespannte Widerspiegelung dieses „anderen Antlitzes”, und die Früchte, die in der Anerkennung und im Schutz der Menschenrechte über alle Barrieren hinweg herangereift sind, stellen eine geglückte Bestätigung dar. Ohne sich die negativen Gesichtspunkte verhehlen zu wollen, wird sich unser christlicher Spürsinn der hohen Wünsche bewußt, die unsere Epoche aufwühlen. Und bemüht sich, ihnen gerecht zu werden, indem er für die „auf Liebe gegründete Gesellschaftsordnung” arbeitet, gibt es doch keine Gesellschaftsordnung ohne Liebe und keine Liebe ohne Gesellschaftsordnung.

Der kulturelle Fortschritt der Menschheit bliebe ohne solide Grundlage und ohne dauerhafte Bewegung, wenn er sich auf die Verwirklichung von Dingen beschränkte, die zwar in sich notwendig und sogar edel sein mögen, aber diesseits der Liebe haltmachen, sie unbeachtet lassen oder sogar sich als feindselig gegenüber ihren Forderungen erweisen. Eine Gesellschaftsordnung ohne Liebe bliebe ein leeres Wort, ohne Sinn und Wirksamkeit In der Tat findet die menschliche Gesellschaft gerade in der Liebe ihre wahre Seele.

Auch unter diesem Gesichtspunkt, also in bezug auf die äußere Ausstrahlung, ist der Einsatz der Treue dringend nötig. Er folgt dem Zweiten Vatikanischen Konzil, seinen Bestätigungen der kirchlichen Lehre und seinen Pastoralen Weisungen, die der oberste Hirte unaufhörlich verdeutlicht und ins Gedächtnis zurückruft Er ergibt sich aus der Feier des Heiligen Jahres und aus seinen Anregungen zur Erneuerung. Dieses Ereignis ist nicht untergegangen im großen Strom der Dinge, die man vergißt. Das Bild der unzähligen Scharen aus allen Nationen, die als Wallfahrer dieses Rom der Märtyrer und der Apostolischen Nachfolgeschaft besucht haben, hört nicht auf, ein echtes Bild des Volkes Gottes zu vermitteln, das in allen Erdteilen und überall unter dem Himmel den selben Glauben bekennt, von den selben Empfindungen erfüllt, von den selben Gewißheiten getragen ist.

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