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Die Frage nach dem Poetischen

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Weniger die Poesie als „das Poetische“ an sich scheint neuerdings an Aktualität gewonnen zu haben: Das Poetische, das einem Grundbedürfnis auch des einfachen Mannes entspricht, das handhabbar, verständlich, austauschbar und nur ja nicht elitär ist. Poesie vom Schlage der „Love Story“, ein Konglomerat aus Aktualität und Sentimentalität, hat in zunehmendem Maß den Markt erobert. Grund genug, sich auf Tagungen damit zu beschäftigen. Auch die Musiker wurden kürzlich in Klagenfurt befragt, wie sie es denn mit dem Poetischen hielten?

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Weniger die Poesie als „das Poetische“ an sich scheint neuerdings an Aktualität gewonnen zu haben: Das Poetische, das einem Grundbedürfnis auch des einfachen Mannes entspricht, das handhabbar, verständlich, austauschbar und nur ja nicht elitär ist. Poesie vom Schlage der „Love Story“, ein Konglomerat aus Aktualität und Sentimentalität, hat in zunehmendem Maß den Markt erobert. Grund genug, sich auf Tagungen damit zu beschäftigen. Auch die Musiker wurden kürzlich in Klagenfurt befragt, wie sie es denn mit dem Poetischen hielten?

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Auf eine Definition des Poetischen wollte sich freilich niemand einlassen, aber selbst die abgebrühtesten Avantgardisten behielten sich das Recht auf „das Poetische“ vor, ja die Entscheidung fürs Poetische, so meinten sie, müsse ja dem Entschluß, zu komponieren, stets schon vorangegangen sein. Für das Poetische, das nicht definiert wird, aber als verschmitzte Schwärmerei für Großmutters Poesiealben aus dem 19. Jahrhundert oder als Prinzip sakraler Gestik in einem Stockhausen-Opus zum Vorschein kommen kann.

Ernsthaftere Fragen freilich wurden nicht gestellt, etwa wie es sich mit dem Poetischen beim „musicus poeticus“ Heinrich Schütz verhalten oder was in neuerer Zeit Anton von Webern gesucht habe, als er im An-chluß an Goethe bestrebt war, „die Gesetze zu finden, unter denen die Natur in der besonderen Form des Menschen produktiv ist“. Der Kla-genfurter Diskussionsleiter, der im Pneumatologischen des Ferdinand Ebner wohlbewanderte Nikolaus Fheodoroff vermied es leider auch, die Frage nach dem Poetischen, von der Frage nach der Bestimmung des Geistigen in der Icheinsamkeit her aufzurollen. Ebner wird aber immer „aktueller“ in einer Zeit, wo häufig aber unscharf vom Dialogischen oder der mangelnden Kommunikation die Rede ist. Manch Ebnersches Wort hätte den Musikern und auch den Literaten ins Stammbuch gehört, wie jenes: „Die wahre Innerlichkeit des menschlichen Lebens ist nicht die des Musikalischen, sondern die des Worts. Im Wort tritt der Mensch aus der Icheinsamkeit seiner Existenz heraus in ein Verhältnis zum Du ...“

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Wo immer nun über Literatur gesprochen wurde, ob — wie in Klagenfurt — Hilde Domin und Gertrud Fussenegger vorsichtig gegen Erich Frieds und Günter Herburgers Thesen opponierten, oder ob auf Schloß Neulengbach niederösterreichi sehe Schriftsteller Referate von Ernst Schönwiese und Peter Heinisch diskutierten, waren die beiden Tendenzen einer elitären, der Verantwortung gegenüber der literarischen Tradition des Abendlandes sich bewußten und einer unbekümmerten, auf die Vergesellschaftung auch der literarischen Produktionsmittel hindrängenden Schriftstellerei präsent. „Leben heißt, eine Form verteidigen“, sagte noch der Komponist Webern. Eugen Gottlob Winkler wiederum hatte in einem Essay-August Graf von Platen zitiert und interpretiert, insbesondere seinen Aphorismus: „Die Vollendung der Form ist die höchste Selbstverleugnung des Künstlers“. Winkler schrieb: „Formalismus bedeutet hier alles andere als eine künstliche Spielerei: er besaß für Platen geradezu einen religiösen Aspekt. Nichts weniger als die Erlösung des Selbst sollte sich durch diese Vollendung vollziehen. Je schwieriger die Form zu erfüllen war, je unnachgiebiger sich ihr Gesetz dem Drang der Aussage entgegenstellte, desto sicherer fühlte das dichtende Ich sich geborgen, gerettet — verewigt zugleich durch das Opfer der eigenen Hingabe.“

Mit gutem Grund verwahrt sich aber etwa Günter Herburger dagegen, daß Kunst so entschieden einsam auftritt. Ja, er verspricht sich heute etwas von der Banalisierung großer Texte und formuliert seine These zur Demokratisierung der Literatur in der Form, daß Literatur, politisch verstanden, der Abschaffung der Literatur zu dienen habe. Ihr liegen unter anderem Überlegungen zugrunde, daß Literatur heutzutage nicht mehr in erster Linie als gedrucktes Wort, das die aktive Rezeption durch den Leser erfordert, an den Mann gebracht wird, sondern vielmehr durch Film und Fernsehen. Dort aber führt es zur Lähmung gesellschaftlicher Aktivität, wenn ein einsames Individuum, nach dem Vorbild des elitären Dichters, seine Produktion einem ohnmächtigen und zur Ohnmacht verdammten Publikum aufzwingt. Poesie muß dann in erhabenen, fälschlich als poetisch ausgewiesenen Gesten erstarren.

Herburger hat von den Kindern den zwanglosen, unliterarischen Umgang mit den Mythen gelernt und meint, daß es Möglichkeiten gäbe, sich diese schöpferische Unbekümmertheit und Unschuld auch als Erwachsener zu bewahren. Die Zertrümmerung der traditionellen Formen der Kunstübung, sei es des Theaters, des Symphoniekonzerts oder der Dichterlesung, ist eine Voraussetzung für den, der sie als Herrschaftsinstrumente durchschaut hat.

Aber die Diskussion um das Poetische läßt sich ja nicht nur von der einen Seite her führen, daß sich der Produzent von Literatur eine möglichst große Zahl von Lesern wünscht und Kommunikationsstörungen beheben möchte. Man kommt beispielsweise nicht um Paul Celans Reflexionen über Georg Büchners Kunstbegriff herum und das Bestreben, das Natürliche mittels der Kunst zu erfassen: „Das ist ein Hinaustreten aus dem Menschlichen, ein Sichhinausbegeben in einen dem Menschlichen zugewandten und unheimlichen Bereich...“

Die Form bekommt hier wieder einen religiösen Aspekt, wo es um die Behauptung in einem außermenschlichen Bereich, um die Rettung der Natur mit den Mitteln der Kunst, geht. Kann man derlei durch die Abschaffung der Klassengesellschaft einfach vom Tisch fegen, etwa eine Definition des Poetischen, die sich auf den griechischen Ursprung zu besinnen sucht? Aber die Ungeduld dem Poetischen gegenüber, die immer häufiger zu einer Unduldsamkeit wird, kann mancherlei Ursprungs sein.

Ebner deutete sie als Ungeduld der Icheinsamkeit; der protestantische Dichter Jochen Klepper wiederum schrieb: „Anderes aber als Christliches ist mir nicht schreibenswert, nicht lebenswert. Ich kann von dem nicht los, auch völlig versagend nicht, was mich da angerührt hat.“ Auch völlig versagend und verstummend nicht. Er hatte seinen Auftrag aus der Bibel empfangen und bestätigt erhalten. Geduld entsprach seinem christlichen Auftrag, und die Ungeduld wandte sich gegen alles Nicht-Christliche, auch gegen die Aufrechterhaltung eines fürs Christliche belanglosen Literatur-Betriebs.

• Der israelische Maler Aryeh Weiss stellt in der Zeit vom 3. bis 8. Juli im Palais Pdlffy, Nestroy-Saal, aus. Weiss zählt in seiner Heimat zu den profiliertesten abstrakten Künstlern. Sein ureigenstes Gebiet sind die plastischen „Spiegel“-Bilder.

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