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Die große Zeit ist nicht vorbei

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Professor Frederick Mayer, 56, Erziehungswissenschaftler deutscher Herkunft und amerikanischer Praxis, vielfacher Buchautor, seit fast neun Jahren als ehrenamtlicher Konsu-lent der UNIDO für internationale Ausbildungssysteme in Wien, Grunder der „International Community“, Vizepräsident des Internationalen Kulturzentrums, ist ein leidenschaftlicher Österreich-Freund geworden.

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Professor Frederick Mayer, 56, Erziehungswissenschaftler deutscher Herkunft und amerikanischer Praxis, vielfacher Buchautor, seit fast neun Jahren als ehrenamtlicher Konsu-lent der UNIDO für internationale Ausbildungssysteme in Wien, Grunder der „International Community“, Vizepräsident des Internationalen Kulturzentrums, ist ein leidenschaftlicher Österreich-Freund geworden.

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FURCHE: Welche Erfahrungen haben Sie als Ausländer in und mit Österreich und den Österreichern gemacht?

MAYER: Die Österreicher haben viel zuwenig Gefühl dafür, daß sie auch heute noch eine wichtige Mission zu erfüllen haben. Sie glauben, ihre „große Zeit“ sei vorbei. Aber sie sind gerade auch heute dafür prädestiniert, Katalysator für internationale Zusammenarbeit zu sein.

FURCHE: Warum gerade Österreich?

MAYER: Aus vielen Gründen. Einmal schon deshalb, weil ein kleines Land heute in mancher Hinsicht mehr vermag als ein großes, das nicht mehr regierbar ist. Und dann angesichts des kreativen Potentials ...

FURCHE: Was verstehen Sie darunter konkret? “1

MAYER: Die große Vergangenheit! Die Tatsache, daß von Freud bis Wittgenstein und Schönberg so viele Einflüsse auf die moderne Kultur ausgegangen sind. Dann die vielen Österreicher in Führungspositionen der westlichen Welt! Man weiß von UN-Generalsekretär Waldheim und der weltweiten Ausstrahlung von Kardinal König. Aber es gibt mehr Österreicher als Vertreter anderer Länder auch noch in anderen international bedeutsamen Positionen. Auch die Sozialpartnerschaft, das Arbeitgeber/Arbeitnehmerverhältnis ist hier besser als anderswo in der westlichen Welt. Die Österreicher sind weniger doktrinär, mehr auf Qualität als auf Ideologie bedacht. Mit der UN-City wird Österreich eine neue Chance erhalten.

FURCHE: Was müssen die Österreicher tun, um das zu erreichen?

MAYER: Sich von einer gewissen provinziellen Perspektive befreien. Man muß positiv über internationale Zusammenarbeit denken und sprechen. Die Medien berichten nur das Negative aus der Welt. Das ist nicht falsch, aber einseitig. Man sollte das Positive höher bewerten, das sich in der übrigen Welt ereignet. Das ist heute kein Luxus mehr, sondern Notwendigkeit.

FURCHE: Aber ist es nicht in Wirklichkeit so, daß Ausländer sich in Österreich oft sehr einsam und isoliert fühlen?

MAYER: Sicher wird auf diesem Gebiet noch zuwenig getan. Man müßte mehr Phantasie entwickeln. Leider lernen viele Ausländer nicht Deutsch und sind dann in ihrer eigenen Gruppe total isoliert. Außer einer kurzen Nachrichtensendung im Hörfunk am Morgen gibt es keine fremdsprachigen Sendungen im Fernsehen oder wenigstens Untertitel, auch keine fremdsprachigen Zeitungen,

die aus Österreich über Österreich berichten. Der Sprachunterricht müßte verbessert werden, vor allem in Englisch - weniger Grammatik, mehr wirklichkeitsnahe Konversation. Wien braucht unbedingt ein Kino, das moderne fremdsprachige Filme im Original zeigt - so wie das Burgkino mit seinen guten alten Filmen. Wien hat einige fremdsprachige Schulen und auch bereits eine UN-Schule mit Schülern aus 57 Nationalitäten und einem ausgezeichneten Direktor. Aber es gibt so gut wie keine Beziehungen zu österreichischen Schulen und Kulturinstitutionen. Eine internationale Schule in Wien sollte aber keine Einbahnstraße sein; ' ■ •*■“

FURCHE: Was erwarten hier le- , bende Ausländer von den österreichischen Menschen?

MAYER: Interesse, Freundlichkeit, Aufgeschlossenheit. Sie wollen ihnen begegnen, von der Begegnung zum Dialog kommen, aus dem dann oft Freundschaften erwachsen. Die Organisation „Wien International“ tut viel: Auch mit unserer „International Community“ versuchen wir, aus dem Getto auszubrechen.

FURCHE: Was' müßte geschehen, damit nicht gerade die UN-City ein neues großes Fremdengetto wird?

MAYER: Schon in der Schule müßten die Weichen gestellt und über neu entstehende Staaten mehr gesprochen werden. Der ganze Geographieunterricht, der Geschichtsund der Literaturunterricht könnten wirklichkeitsnäher und weltoffener gestaltet werden. Ein Maturant müßte auch von afrikanischer Geschichte und japanischer Literatur eine Vorstellung haben. Das Serviceangebot könnte verbessert werden: femdsprachige Aufschriften in öffentlichen Verkehrsmitteln zum Beispiel, besucherfreundlichere Öffnungszeiten in Museem, Servicestellen für Ausländer - und das alles so formlos - und Unbürokratisch wie möglich. Auch, das ist eine Chance für Wien: neben den schon überbürokra-tisierten UN-Städten New York und Genf eine weniger bürokratische UN-Stadt zu sein.

FURCHE: Wer sind die Ausländer, die ständig in Wien leben?

MAYER: Studenten, Lehrer, Industriemanager, Diplomaten usw. Alle diese Gruppen müßten mit ihren österreichischen „Visavis“ bekanntgemacht und an die herrlichen Kulturschätze dieser Stadt und dieses Landes herangeführt werden. Im übrigen glaube ich, daß auch die Kirchen eine große Mission hätten, die internationale Zusammenarbeit zu fördern.

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