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Die Krise heißt: Mangel an Mut

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Das Osterfest ist für viele Zeitgenossen ein willkommener Anlaß, vom Streß des Berufslebens auszuspannen und die ersten Strahlen der Sonne zu genießen: Ostern ist zur 72-Stunden-Unterbrechung der Urbanen Mühen geworden, aber auch zur Chance für eine ausgedehnte Dreiländer-Rallye hinter dem Lenkrad.

Ist Ostern noch das Fest für getaufte Christen des Jahres 1972?

Sieht man die halbleeren Kirchen in diesen Tagen, könnte man am Geist der Zeit zu zweifeln wagen; Erlösung und Auferstehung scheinen den Durchschnittsbürger nicht mehr zu berühren. Die Botschaft dieses Tages dringt nicht mehr zu ihm. Die Welt nimmt ihren Lauf — und das Christentum, die Kirche dürfen bestenfalls noch als folkloristischer Hintergrund des Osterspaziergangs dienen...

Zwei Erscheinungen kennzeichnen deutlich den Vorgang: Die Kirche steckt — man muß sich das eingestehen — nun schon seilt Jahren in einer immer heftiger werdenden Krise;. Beschönigungen können den Tatbestand nicht verleugnen, daß das Wort Gottes nur noch auf die eigenen Gotteshäuser beschränkt bleibt, daß eine in sich uneinige Kirche in entscheidenden Fragen dem gläubigen — oder auch gleichgültigen — Menschen unserer Zeit die Antworten nicht geben kann, die er sucht.

Anderseits erleben wir gerade in diesen Tagen und Wochen in Österreich, daß die Kirche und die gläubigen Katholiken vom Handeln des Staates ganz bewußt ausgesperrt werden; man bemüht historische Argumente, um der Kirche das Wort zu entziehen, wenn es um Fragen der Einrichtung und Gestaltung des öffentlichen, staatlichen Lebens geht; und man verweigert ihr allen Ernstes das Recht des Widerspruchs, wenn sie in den fundamentalsten Grundfragen der Gemeinschaft, der Erhaltung des Rechtes auf das Leben — gleichgültig ob Geborener oder Ungeborener — ihre Stimme erhebt. Politische Parteien spielen das gleiche Spiel wie gewisse Massenmedien und Meinungsmacher, wenn es darum geht, den Widerstand der Kirche gegen die Ermöglichung der Tötung entweder als unwichtig abzutun, als politische Aktion zu diskreditieren oder bewußt fehlzudeuten. Da treten Katholiken, ja Theologen auf, die die Texte des II. Vatikanums für sich so auslegen, daß es ihr Gewissen nicht strapaziert, wenn sie das Recht auf Leben nicht zu einer Frage des Glaubens machen.

Ein Staat, der sich in diesen kommenden Wochen anschicken will, Leben ungestraft zerstören zu lassen, befindet sich freilich auch bereits in einer Krise, die keine Krise der Macht oder der Institutionen ist — aber eine Krise der Moral.

Ostern ist das Fest des Lebens. Eines Lebens, das aus der Gnade Gottes kommt.

Gerade deshalb ist der Appell der Kirche aktueller denn je; und gerade weil die Kirche aus ihrer seelsorglichen Arbeit um die Not und die Sorgen weiß, die ungewollte Mutterschaft mit sich bringt, gerade deshalb ergänzt sie auch ihren Aufruf für den Schutz des Lebens mit Aktionen und Vorschlägen für eine materielle Sicherung von Mutter und

Kind. Das diesjährige Karfreitagsopfer ist ein erster Schritt dazu.

Besinnung über die Auferstehung und das Leben haben ihren Sinn nicht verloren. Gerade nicht heute, gerade nicht heuer. Hinter dem Mißverständnis, hinter den Krisen und Defekten steht im Grunde doch nur der Verlust an moralischer Kraft, die Staat und Gesellschaft, Parteien und Ideologien nicht geben können. Und auch hinter der Krise der Kirche steht der Verlust an moralischer Autorität — in ihrem innern, organisatorischen Leben und in ihrer Stellung in der Welt von heute.

Wir alle huldigen einem Hang zur Bequemlichkeit, die in dem Maße zur Gleichgültigkeit wird, in dem auch Grundfragen des Miteinander-lebens der Menschen berührt werden. Die Parteien legitimieren sich Bequemlichkeit mit demokratischen Beschlüssen, die der Mehrheit mehr Bequemlichkeit verschaffen; sie ändern Strafgesetzbestimmungen, wenn Meinungsforschungsergebnisse Mehrheiten für „bequemere“ Lösungen attestieren; und sie schätzen Bürgerinitiatven nur dort, wo es um auszureißende Bäume geht; wenn 800.000 Menschen mit ihrer Unterschrift gegen die Tötung des Lebens protestieren, wird aus einer Bürgerinitiative plötzlich eine „klerikale Aktion“.

In diesem Spiel mit Scheinheiligkeit und Demagogie, das auch nur allzu gerne die Medien dieses Landes mitspielen, verschaffen sich auch Katholiken ihre Bequemlichkeit durch Gleichgültigkeit; — hier Staat, hier Kirche, das eine hat hat mit dem anderen nichts zu tun; wer sich auch um die Gesellschaft kümmert, betreibt „politischen Katholizismus“.

Die Krise der Kirche hat ihre Wurzeln auch im Fehlen jenes Wortes, das klarstellt, was des Kaisers, und was Gottes ist: sie hat ihre Wurzeln im Zweifel, daß es in dieser Kirche noch eine letzte, klare moralische Instanz gebe, die mit voller Autorität das Wort Gottes verkünden kann. Autorität — das wird auch in der Kirche als Gegensatz zur Demokratie empfunden, obgleich' die Geschichte der menschlichen Gesellschaft die Existenz von Autorität gerade als Voraussetzung der Anwendung demokratischer Grundrechte erkennt.

Wir haben es uns vielleicht allzu lange zu leicht gemacht; wir haben gemeint, daß auch in der Kirche derjenige, der Bequemlichkeit verspricht, der Erfolgreiche sein werde. Wir haben zu wenig Mut gehabt: Mut, der echte Autorität kennzeichnet — Mut, unbequem zu sein. Wir haben zu wenig Mut auch vor der Auseinandersetzung gehabt — auch dann, wenn sie notwendig war. Und wir sind diesseits des Eisernen Vorhangs unversehens zu einer schweigenden Kirche geworden, wir, die vor dem sogenannten Zeitgeist resigniert haben, wenn es um die Krise in der Kirche ging.

Es ist Gelegenheit, wieder daran zu glauben, daß die Menschen unserer Zeit von der Kirche mutigere Worte hören und Autorität erkennen wollen, die aus der Kraft des Wortes und der Tat erwächst. Bequemlichkeit erleben die Menschen unserer Zeit zur Genüge.

Das Christentum ist nicht auf dem Weg der Bequemlichkeit zu erlangen. Er ist ein unbequemer Weg. Wie der Weg nach Golgotha.

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