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Die Masse der Taufschein-Christen

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Die Feststellung, Österreich sei ein katholisches Land, ist eine Fiktion, die, rein formalistisch gesehen, sogar statistisch begründbar ist: denn immerhin zählt das Land rund sieben Millionen gültig Getaufte.

Eine andere Frage ist freilich, wieweit diese Getauften auch als Christen nach der Intention und dem Auftrag Jesu Christi zu bezeichnen sind. Es ist eine kaum erfreuliche Tatsache, daß rund 80 Prozent der österreichischen Katholiken einen nur äußerst losen Kontakt zur Kirche pflegen, wenn sich auch jeder von ihnen beleidigt fühlen würde, wollte man ihm sein Christ-Sein streitig machen. „Ich bin vielleicht ein besserer Christ, als jene, die jeden Sonntag dem Herrgott die Zechen abschlecken“ - ist eine in jeder Hinsicht treffende Selbstaussage solcher Mitmenschen.

Zunächst einmal deutet die Formel jene Widersprüchlichkeit an, die diese Leute auf allen Gebieten des Glaubens kennzeichnet: Sie halten sich durchaus für gute, ja „vielleicht sogar bessere“ Christen als andere, obwohl sie ein so zentrales und wesentliches Geschehen wie das eucharistische Opfer nicht verstehen und Jesu testamentarischen Willen zurückweisen. Doch: Sie sind ja erst beim „Herrgott“ angelangt, zu Jesus, der wie in Emmaus, auch in Neusiedl oder Dornbirn auf einen per-

sönlichen Kontakt wartet, haben sie keine Beziehung. Die Behauptung, die Masse glaube zwar an Gott, lehne aber die Kirche ab, stimmt gar nicht. Das Übel liegt tiefer: Es gibt fundamentale Mißverständnisse, Unkenntnis und Unglauben bei fundamentalen Glaubensaussagen. Man kann wohl schlecht Christ sein, wenn man das Meßopfer gering achtet, wenn man an

Jesus Gottessohn, an Auferstehung und ewiges Leben nicht glauben kann. Gerade in diesen Punkten gibt es aber gravierende Abweichungen im Volk von dem, was christliche Verkündigung lehrt.

Li beral-säkularistische Schlagworte und Thesen spielen hier ebenso ihre zersetzende Rolle, wie weitreichende religiöse Unbildung, deren Ursache wiederum in einem unbefriedigenden Religionsunterricht vor allem aber in der Gedankenlosigkeit der Konsumgesellschaft zu suchen ist. Selbst intellektuelle Kreise sinęl davor - wie die Erfahrung lehrt - nicht gefeit. Kein Wunder, daß die Massenmeinung in Sachen Glauben von der Mehrheit der opinion leaders nur noch untermauert wird.

Mangelnde Identifikation mit der Kirche als Organismus läßt diese in den Augen der meisten Österreicher zu einer Institution verarmen, die eher im Politisch-kulturellen als Religiösen beheimatet ist und die man eher von- außen kritisiert, als von innen mitträgt und mitgestaltet.

„Die Kirche“ als solche ist zwar eine schon längst widerlegte Falschformel, weil einseitig und unvollkommen, besonders, wenn sie noch dazu auf Papst, Bischöfe und Priester eingeengt wird, doch wird sie von dem überwiegenden Teil der getauften Bevölkerung noch immer unverdrossen weiterbenützt.

Das Dienstleistungs-Repertoire dieser „Kirche“ schließt nach solcher Optik einen mehr oder weniger veralteten Lagerbestand an Heilsgütem ein. Man „sucht sie auf“ bei Taufe, Trauung und Todesfall, kehrt bei Ausflügen, mehr aus Nostalgie und ästhetischem Interesse als gläubigem Bedürfnis, in die barocken Denkmäler längst verblaßter Frömmigkeit ein und läßt sich zur Weihnachtszeit mittels „Stille Nacht, heilige Nacht“ von dem unbestimmten Gefühl eines durch Kerzen, Tannengeruch und Geschenke verklärten „Tristesse“-Trips benebeln.

Denn die Formel „Vielleicht bin ich ein besserer Christ“ birgt auch echte Sehnsucht in sich. Sie wird kaum artikuliert, eher in nostalgischen Erinnerungen an Erstkommunion- und Ministrantenalter beschworen, manifestiert sich aber auch in giftigen Bemerkungen gegenüber jedem Glaubenseifer und in Sarkasmen und Skepsis gegenüber festen Überzeugungen.

Der Neid der Besitzlosen ist gleichzeitig somit auch Ansatzpunkt der Hoffnung: Daß diese getaufte Masse, die in den Ballungszentren des Landes, wie etwa in der religiösen Wüste Wien, mit ihrer Interesselosigkeit schwer auf den Idealismus der Priester und ihrer kleinen treuen Schar drückt (auf dem Lande ist die Situation besser, weil überschaubarer) doch nicht ganz verloren ist. Zumal sie ja, aus den skizzierten Gründen, gar nicht um das echte Wesen der Kirche und ihrer eigenen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung innerhalb dieser Kirche weiß.

Eingefleischte Vorurteile, falsche Alternativ-Slogans wie „Hauptsache, man ist ein guter Mensch“ verstellen den Weg zur persönlichen christlichen Selbstfindung. Natürliche Bequem lichkeit und Angst vor der Herausforderung des Christentums verstärken den Widerstand und die Versuchung, sich hinter fadenscheinigen Alibis zu verschanzen.

So reduziert sich die Gläubigkeit zu einer nebulösen Gottahnung und das Verhältnis zur Kirche zum Streit um die Höhe des Kirchenbeitrags. Kein Wunder, wenn der „Preis“ für die wenigen „Leistungen“ auf die man - schöne Leich’ inbegriffen - Anspruch erhebt, für zu hoch empfunden und um ihn mit einer Intensität gefeilscht wird, wie sonst nur beim sommerlichen Urlaubseinkauf auf dem Markt von Caorle oder Bibione um Strickwesten und Schuhe.

Daß nicht mehr Österreicher bei diesem Wust von Miß- und Unverständnissen dessen, was christlicher Glaube ist, aus der Kirche austreten, ist nur aus dem erwähnten Rest von Nostalgie zu erklären und aus dem Wunsch, ordentlich beerdigt zu werden. Denn der Tod - wie oft besungen- ist der heimliche Lebensgefährte eines jeden Österreichers. Dieser hat vor dem Sensenmann weniger Angst als andere, da er einen ausgeprägten Hang zur heiteren Resignation besitzt. Albert Camus hätte seine helle Freude an den Getauften unseres Landes gehabt, hätte er an ihnen den Typ des absurden Menschen studiert. Er hätte dabei die Ausformung eines heiteren, kleinbürgerlichen Sisyphos mit christlicher Tünche entdeckt.

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