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Die Nationalgesdiichten

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Auf einer österreichisch-italienischen Tagung im Herbst in Wien wird es um die gegenseitige Überprüfung und Revision von Geschichtsbüchern der beiden Länder gehen. Gerade zwischen Österreich und Italien, die durch die Geschichte engstens miteinander verbunden waren, ist ein Abbau der Vorurteile, die aber in der jeweiligen Geschichtsschreibung ihren Niederschlag gefunden haben, notwendig. Denn der negative Erfolg einer allzu einseitigen Darstellung historischer Gegebenheiten liegt auf der Hand: sie findet Eingang in die Geschichtsbücher unserer Schulen und wird dort als historisches „Verständnis“ gelehrt.

Die Uberprüfung der Schulbücher auf Unrichtigkeiten und Tendenzen stellt heute ein internationales Anliegen dar, das auf eine Initiative der UNESCO zurückgeht. Bisher fanden bereits Tagungen mit dieser Zielsetzung zwischen Deutschland und Frankreich, Deutschland und Italien, Deutschland und Österreich sowie kürzlich auch, dm Institut für Neuere Geschichte der Universität Pavia, zwischen Italien und Österreich statt.

Bei den österreichischen Gesprächen mit den südlichen Nachbarn geht es vornehmlich um die Erörterung von gemeinsamen Problemen und Erfahrungen der beteiligten Länder mit dem Geschichtsunterricht an den höheren Schulen und ihrem essentiellsten Werkzeug, dem Schulbuch.

Das Gespräch in Pavia, das eine Fortsetzung in Wien finden soll, bemühte sich, eine Analyse der im Unterricht verwendeten Schulbücher vorzunehmen. Dabei konnte, wie aus Teilnehmerkreisen verlautet, festgestellt werden, daß Italien zur Zeit fast 30 Lehrbücher für höhere Schulen besitzt. In Österreich dürfte diese Zahl nur wenig unterboten werden. Allerdings wurde ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Ländern festgestellt: Während sich die italienischen Lehrbücher sehr stark nach fachwissen-schaftlichen Gesichtspunkten orientieren, sind die österreichischen Lehrbehelfe mehr methodisch-didaktisch ausgerichtet.

Der historische Zeitraum, der ir Pavia besprochen wurde, war nach oben hin mit dem Wiener Kongreß begrenzt. Bei der Herbsttagurug in Wien sollen das 19. und 20. Jahrhundert behandelt werden, wobei es den Teilnehmern darum geht, auch für diesen Zeitraum effektive Irrtümer, bewußte Einseitigkeiten, Unterlassungen und mißverständliche Formulierungen aus der Welt zu schaffen. Die österreichische Kommission setzte sich aus dem Präsidenten des Instituts für Österreichkunde, Uni-versitätsprofessor Novotny, dem Innsbrucker Universitätsprofessor

Rainer, seinem Wiener Kollegen Waradruszka, dem Innsbrucker Assistenten Riedmann, sowie den beiden Mittelschullehrem Marko aus Vil-lach und Möcker aus Wien zusammen. Und an diesen sechs Österreichern liegt es unter anderem, das österreichische Selbstverständnis auch in den italienischen Lehr- und Geschichtsbüchern zu vertiefen.

Neben dieser auf Bundesebene geführten Kontaktnahme, die insbesondere für das höhere Schulwesen von Bedeutung ist, fördert eine vom Tiroler Landeshauptmann Wallnöfer unabhängig davon initiierte österreichisch-italienische Kommission die beiderseitigen Kontakte. Nicht zuletzt, um mit der Südtirolfrage ins reine zu kommen, hat sich dieses Forum die Erörterung italienischer und österreichischer Geschichtsprobleme es 20. Jahrhunderts zum Ziel gesetzt. Im abgelaufenen Jahr wurde beispielsweise am nahe bei Innsbruck gelegenen „Grillhof“ das Thema „Die itar.en'sch-österreichi-schen Beziehungen bis 1918 im Spiegel der italienischen Geschichtsschreibung“ (und umgekehrt) behandelt.

Wer bedenkt, daß des Verhältnis von Staaten zueinander sehr wesentlich durch die Geschichte bestimmt wird, kann dieser Arbeit nur den bestmöglichen Erfolg wünschen. Die Vorurteile, die beispielsweise zwischen Frankreich und England heute noch Geschichte machen, sollten gerade in einer Zeit, in er das große europäische Näherrücken angebrochen ist, abgebaut werden. Und für Österreich bedeutet ein solches Gespräch mit Italien letzten Endes doch auch einen Sprung über den eigenen Schatten.

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