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Die Welt in Esterhäzys Zerrspiegel

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Zehn Jahre ist es her. In Ungarn war ein neuer Erzähler erschienen, und das literaturverliebte Land stürzte sich vergnügt und augenzwinkernd in diese anders geartete Welt einer geschmeidigen, tiefsinnigen und zugleich ironischen Prosa. Peter Esterhäzy hieß der Autor, damals fünfundzwanzig Jahre alt.

Roman folgte auf Roman, und die Titel versprachen allerlei Überraschungen. „Laß das Kapern auf päpstlichen Gewässern“ (1977) hieß der eine, „Wer haftet für die Sicherheit der Lady?“ (1982) der andere, und zuletzt erschien gar eine „Kleine ungarische Pornographie“ (1984). Es ging darin freilich nicht um Schweinereien sexueller Art, sondern um unser alltägliches Lügen, um Verrat und Opportunismus, um all die unehrenhaften Mittel, die das Uberleben erleichtern oder überhaupt ermöglichen sollen.

Damit ist das Thema dieses sprachkundigen Erzählers im wesentlichen umrissen.

Esterhäzy schildert die allgemein menschliche und die heutige, konkrete ungarische Misere, allerdings ohne Pathos, im Gegenteil: er formuliert seine Beobachtungen, Berichte, inneren Monologe und Pointen in der Umgangssprache, die salopp, für die Zeit typisch und natürlich auch sarkastisch ist. Im Hintergrund dieses Sprachflusses tönt das bittere Gelächter eines Menschen, der zuerst verwundert und dann resignierend zur Kenntnis nimmt, gerade in dieser heutigen Zeit leben zu müssen.

Das Lebensgefühl, das hier zum Ausdruck kommt, ist für Ungarn, vor allem für Budapest fürwahr nicht neu. Der Humor von Frigyes Karinthy, von Istvän örkeny war ebenfalls der Verzweiflung entsprungen. Sobald das Tragische ein das Fassungsvermögen sprengendes Maß erreicht hat, kippt es ins Tragikomische; der Mensch greift nach den satirischen Möglichkeiten der Sprache. Leid und Mitleid findet im Spott und im Selbstspott den oassenden Ausdruck.

Doch ist Peter Esternäzy freilich kein Epigone. Die Originalität seines bisherigen epischen Werkes liegt nicht nur in der Kunst des Autors, die Alltagssprache als Trägerin philosophischer Inhalte zu überhöhen, sondern in der sachlichen, durchaus logischen Art, verschiedene Ausdrucksmittel der Prosa einzusetzen. So entstehen sprachliche Kunstwerke aus einem Guß, denn alle diese Mittel entsprechen dem augenblicklichen Stand der Erzählung, ihre Form ist einleuchtend, zutiefst menschlich und zugleich zutiefst artifiziell — gerade das Artifizi-elle läßt uns aber begreifen, daß man dem Tragischen an diesem Punkt mit den üblichen sprachlichen Mitteln nicht beikommen kann.

Nun ist das erste Buch von Peter Esterhäzy auf Deutsch erschienen. Hans-Henning Paetz-ke hat den Roman „Die Hilfsverben des Herzens“ (1985) trefflich übersetzt: ein Buch über den Tod der Mutter, widerspiegelt in den Erzählungen des einen Sohnes, in den Gesprächen der Hinterbliebenen. Ein faszinierendes Buch, treu seinem Motto „Sprechen kann, wer hoffen kann, und umgekehrt“.

DIE HILFSVERBEN DES HERZENS. Roman. Von Peter Esterhäzy. Residenz Verlag. Salzburg 1985. 124 Seiten. öS 168.-.

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