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Blut oder Wasser

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„Vietnam ist eben erst die Vorhut der losbrechenden gelben Gefahr …“, so schrieb ein Leser in der „Furche“ vom 8. Mai. Spukt nun das gelbe Gespenst wieder herum? Kommt die „gelbe Gefahr“ aus Asien oder ist sie schon lange in Europa erschienen — in Form der „gelben Presse“ und der „gelben Gewerkschaften“?

Noch vor der „Kulturrevolution“ Chinas waren manche Experten, zum Beispiel Wilhelm Fucks,der Ansicht, daß China die stärkste Weltmacht des 21. Jahrhundert sein könnte. Sir Graham, der ehemalige britische Gouverneur in Hongkong, behauptete ebenfalls, daß das kommende Jahrhundert „das Jahrhundert der Chinesen“ sein wird. Jetzt, nachdem Chinas Stern wieder einmal unterging, wollen viele Kommentatoren, darunter die von Economist und The Guardian, wissen, daß Japan künftig nach den USA und der UdSSR die dritte Weltmacht werden würde. Alle diese Ansichten haben ihre haltbaren Argumente. Aber sie enthalten auch unzureichende Punkte. Obwohl China große Fortschritte bei der Entwicklung seiner Schwer- und Leichtindustrie, Wissenschaft und Technik erreicht hat, bleibt es nach wie vor ein äußerlich starker, innerlich jedoch schwacher Riese. Seine Volkswirtschaft steht auf schwachen Beinen; die Gedanken seines Volkes sind furchtbar benommen; seine Literatur und Kunst sind von einer Blutkrankheit befallen; seine internationale Lage ist in die komplette Isolation geraten.

Es steht außer Zweifel, daß die Japaner wissenschaftlich, wirtschaftlich sowie ihrer Mentalität nach imstande sind, sich zu einer Weltmacht zu avancieren. Doch eines dürfen sie nicht vergessen, daß Japan einige wichtige Voraussetzungen fehlen: Menschen, Raum und Rohstoffe, die trotz des Atom- und Weltraumzeitalters für den Werdegang einer Weltmacht unentbehrlich sind. Weder China noch Japan können deshalb allein zu einer echten Weltmacht emporsteigen. Von den geographischen, historischen und kulturellen Gesichtspunkten gesehen, bilden Japan, China, Korea, Vietnam und Formosa eigentlich einen unteilbaren ostasiatischen Raum, der auch ganz Südostasien einschließen kann. Der erste Versuch zur Realisierung dieser Idee war die „Ostasiatische Wohlstandssphäre“ 1938 bis 1945.

Die Geschichte dieses Jahrhunderts hat bewiesen, daß das Schicksal Asiens ganz von den Beziehungen zwischen China und Japan abhängig ist. Japan hat sich nach der Maiji-Reform seit 1867 zur einzigen Großmacht Asiens gemacht, die den „weißen“ Nationen entgegenzutreten vermochte. Hätte dieses Japan damals mit China, einem Land mit 5000jähriger, hoher Kultur, großem Lebensraum, vielen Menschen und reichen Naturerzeugnissen, ehrlich und friedlich zusammengearbeitet, wäre die Weltgeschichte ganz anders geworden. Aber der Militarismus hatte Japan zur gewaltsamen Expansion in Richtung China gedrängt; von 1872 bis 1945 standen sich beide Nationen als Todfeinde fast hundert Jahre gegenüber. Als China 1949 kommunistisch wurde, ist eine Versöhnung zwischen den beiden Cousins der „gleichen Kultur und gleichen Rasse“ — wie die Chinesen und Japaner sich gern so sprichwörtlich bezeichnen — noch schwerer geworden.

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