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Selbstbesinnung vor dem Katholikentag (II)

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Trotz des gesetzlich religiös-sittlichen Charakters unserer öffentlichen Schulbildung ist der Einfluß des gesamten Fildungswesens auf den Katholiken ein religiös-sittlichliberaler.

Wieder muß nach den Ursachen dieser religiösen Unwissenheit gefragt werden. Auch hier kann nicht dem Staat oder den außerkirchlichen Einflüssen die alleinige Schuld gegeben werden, sondern es ist auch ein Teil der Schuld in der Kirche selbst zu suchen. Mit der starken Traditionsgebundenheit geht die ungeheuere Gefahr der Rückständigkeit Hand in Hand, und da die Traditionsgebundenheit der Kirche am stärksten sich auf ihren Klerus auswirkt, besteht die Gefahr im besonderen für diesen. Obwohl die Kirche als Ganzes immer wieder die Sprache der Zeit spricht, muß damit nicht schon gegeben sein, daß auch die Kirche eines Landes im selben Ausmaß dies tut. Je stärker die Traditionsgebundenheit ist, desto langsamer vollziehen sich erfahrungsgemäß innere Reformen. So darf wohl, ohne den Wert des österreichischen Katholizismus schmälern zu wollen, gesagt werden, daß seine Gesamterscheinung nicht genügend die Sprache der Zeit spricht. Ganz abgesehen von kirchlichen Gebäuden und Institutionen, wie Wallfahrten, Prozessionen, religiösen Bräuchen, die ihren religiösen Inhalt fast verloren haben, sind natürlich auch die Predigt und die Glaubensverkündung nicht immer der Zeit angepaßt.

Um das Gesagte zu verdeutlichen, sei der Versuch unternommen, den österreichischen Katholizismus schichtenmäßig zu beleuchten. An vorderster Stelle steht eine intellektuelle katholische Elite, die aber noch als schmal bezeichnet werden muß. Sie lebt vielleicht noch zu stark in akademisch theoretischen Höhen und steht auch nicht selten in einer gewissen Spannung zum Klerus. Sie ist zu wenig auf das Handeln, zu sehr jedoch auf Bestandsaufnahmen und Kritik eingestellt.

Der Klerus scheint dieser Elite gegenüber zu langsam, zu unentschlossen und zu zögernd zu sein. Der Großteil des Klerus ist mehr auf die Erhaltung des katholischen Bestandes als auf die Rückgewinnung des verlorenen oder Neugewinnung noch unbebauten Terrains bedacht. Davon mag auch nicht selten die zu große Empfindlichkeit des Klerus gegenüber jeder Kritik kommen.

An zweiter Stelle steht der österreichische Durchschnittskatholik. Ihm fehlt der wahre Sinn der Kirchlichkeit, und er lebt größtenteils nach liberalen Maximen. Der Kirche gegenüber vertritt er einen mehr oder weniger uneingeschränkten Individualismus. Erscheinungen wie die Disziplinlosigkeit im Gottesdienst, Un-pünktlichkeit, mangelhafte Haltung, mangelhaftes Mitleben mit der Liturgie sind nur Ausdrucksformen dafür. „Beten ja, aber wann und wo ich will.“ Auch die mangelnde Gehorsamswilligkeit gegenüber kirchlichen Weisungen in bezug auf Presse. Film oder Mode wird von diesen Katholiken häufig als „bigott“ bezeichnet.

Der Klerus hat sein seelsorgliches Tun in erster Linie nach dem religiös am stärksten verwurzelten Teil der Bevölkerung: Landvolk und Kleinbürgertum, ausgerichtet. Dadurch ist eine gewisse Kluft zwischen Klerus und Intellektuellen sowie Klerus und Großbürgertum, Industriellen und Geschäftstreibenden entstanden. Die Arbeiter und die eben genannten Bevölkerungskreise stehen, kirchlich betrachtet, abseits.

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