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Digital In Arbeit

„Drüben” Gegenwart -unsere Zukunft

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Der technische Fortschritt ist - leider? Gott sei Dank? - nicht aufzuhalten. Man kann darüber streiten, ob bestimmte neue Errungenschaften die Welt besser, schöner, menschlicher machen (gemacht haben, machen werden), besser aber ist es, man überlegt, wie sie auf menschliche Weise eingesetzt werden können. Wir befragten den Geschäftsführer des Niederösterreichischen Pressehauses, Diplomkaufmann Herbert Binder, über seine in den USA gewonnenen Eindrücke.

FURCHE: Sie hatten kürzlich Gelegenheit, gemeinsam mit europäischen Verlegern und Druckereifachleuten amerikanische Zeitungsbetriebe kennenzulernen. Wie weit sind die dort in Gang befindlichen Entwicklungen auf unsere Verhältnisse anwendbar?

BINDER: Wir haben nicht nur Großbetriebe gesehen, in denen Zeitungsauflagen von 800.000 Stück hergestellt werden, wie zum Beispiel die „Washington Post”, sondern auch Regionalzeitungen mit Auflagen so um 40.000, wie sie auch bei uns gang und gäbe sind.

FURCHE: Und welche technischen Entwicklungen kommen von dort auf uns zu? Vor allem, wie weit hat sich die Bildschirmarbeit in den Redaktionen durchgesetzt?

BINDER: In allen von uns besuchten Redaktionen ist der Bildschirm zur Selbstverständlichkeit geworden. Jeder Redakteur arbeitet am Bildschirm, und vom Bildschirm wird sein Artikel direkt in den Satz übertragen. Voraussetzung ist selbstverständlich der Fotosatz.

FURCHE: Setzer, Tasterinnen und so weiter sind in diesen Betrieben also ausgestorben?

BINDER: Ich würde es nicht so nennen, denn diese Leute sind ja noch vorhanden, üben jetzt aber andere Tätigkeiten aus. Die amerikanischen Verlage legten im Zusammenhang mit der Umstellung auf die modernen Druckereitechnologien großes soziales Verantwortungsbewußtsein an den Tag, wobei ich natürlich offenlasse, wie weit dies auf eigenen Antrieb beziehungsweise auf den Druck seitens der Gewerkschaften zurückzuführen ist. Tatsache aber ist, daß allen jenen Fachkräften, deren Arbeit heute nicht mehr benötigt wird, eine Arbeitsplatzgarantie zugestanden wurde. Sie werden auf qualifizierten Arbeitsplätzen weiterbeschäftigt.

FURCHE: Mußten dabei Lohneinbußen hingenommen werden?

BINDER: Soweit ich es beobachten konnte, offenbar nicht. Was aber tatsächlich von jedem verlangt wird, ist Anpassungsfähigkeit, ist die Bereitschaft, sich auf neue Gegebenheiten umzustellen und immer wieder umzulernen.

FURCHE: Wie ist das nun zum Beispiel bei jenen älteren Redakteuren mit wertvoller Berufserfahrung, die nicht mehr in der Lage oder auch nicht bereit sind, ihre Artikel statt auf der Schreibmaschine plötzlich auf einem Bildschirm zu formulieren?

BINDER: Die Schreibmaschine hat ja auch in einer Bildschirm-Redaktion nicht völlig ausgedient. Man sieht sie noch auf vielen Schreibtischen, manche Journalisten bereiten ihre Artikel auf der Schreibmaschine vor und geben sie erst dann, wenn sie völlig ausformuliert sind, auf dem Bildschirmgerät ein.

FURCHE: Aber im Normalfall werden auch anspruchsvolle Texte, zum Beispiel Kommentare, Leitartikel, Glossen und ähnliches, direkt am Bildschirm verfaßt?

BINDER: Soweit ich es beobachten konnte, ja.

FURCHE: Und wenn man damit fertig ist, drückt man auf einen Knopf und die Setzmaschine übernimmt und setzt den Artikel?

BINDER: Im Normalfall werden die fertigen Artikel per Knopfdruck nicht in die Setzmaschine, sondern auf einen anderen Bildschirm befördert, wo der Editor, der Redakteur, sie liest. Er kann dann entscheiden, ob der Artikel überhaupt gedruckt wird, er kann Änderungen vornehmen und die Arbeit dann zum Satz befördern, aber er kann ihn auch zum Umarbeiten auf den Bildschirm dessen zurückgeben, der die Sache geschrieben hat. Ganz so, wie es immer schon mit einem auf Papier geschriebenen Manuskript möglich und üblich war. Im Gegensatz zu Europa kommt ja drüben eine große Mehrheit von Reportern und sonstigen Mitarbeitern auf eine viel kleinere Zahl von Editors, Redakteuren.

FURCHE: Sie meinen, daß der Bildschirm unweigerlich auf uns zukommt und sich auch bei uns allgemein durchsetzen wird? Und wann? Bald?

BINDER: Bei den technologisch fortgeschrittensten Zeitungsbetrieben wird diese Sache sicher in wenigen Jahren Realität, aber genaue Prognosen kann darüber niemand abgeben.

FURCHE: Geht durch die Bildschirmarbeit nicht auch notgedrungen vieles verloren - an Ausgefeiltheit dessen, was geschrieben wird, an Differenziertheit des Ausdrucks?

BINDER: In einer Ubergangszeit kann es so sein.

FURCHE: Ist es nicht so, daß das, was in solchen „Ubergangszeiten” verlorengeht, kaum je wiedergewonnen wird?

BINDER: Mag sein, aber auf der anderen Seite bringt der Bildschirm den Redaktionen auch Arbeitserleichterungen und neue Möglichkeiten. Die Entwicklung geht ja weiter, die Geräte werden nicht nur einfacher und bedienungsfreundlicher, sondern warten auch mit völlig neuen Möglichkeiten auf. Die neuesten Textverarbeitungssysteme, die wir sahen, bieten zum Beispiel die Möglichkeit, eine Hälfte des Bildschirmes für das Formulieren des eigenen Textes zu verwenden und sich auf der anderen Seite Material aus dem Archiv heranzuholen. Hier kann der Journalist also Agenturmeldungen, aber auch auf Dauer gespeicherte Informationen abrufen und sich damit sehr viel Arbeit ersparen.

FURCHE: Das bedeutet aber doch, daß bei der Informationsarbeit nur noch das herangezogen wird, was elektronisch gespeichert ist. Bedeutet das nicht qualitativ wie quantitativ eine Begrenzung?

BINDER: Zumindest quantitativ ist die Kapazität dieser Archivsysteme schon heute sehr erstaunlich. So sahen wir etwa beim „Boston Globe” ein Computer-Archiv, in dem jeder im eigenen Blatt innerhalb der letzten fünf Jahre erschienene Artikel, Wort für Wort aufgeschlüsselt, gespeichert ist und gegen Gebühr auch anderen Zeitungen über Telefonleitungen zur Verfügung steht.

FURCHE: Aber es bleibt doch die Gefahr, daß in Zukunft durch die Vorauswahl der elektronisch archivierten Information eine Steuerung stattfindet, mit allen Gefahren für die Meinungsvielfalt und damit für unsere Freiheit, die das bedeutet?

BINDER: Das kann niemand leugnen. Um so größer ist natürlich auch die Verantwortung aller jener, die über die Selektion des zu archivierenden Materials entscheiden. Wie bei allen technischen Neuerungen entstehen auch hier völlig neue Spannungsfelder zwischen Manipulationsmöglichkeit und Verantwortungsbewußtsein des einzelnen.

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