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Digital In Arbeit

Dubioser Pfusch

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Die Zahl der Arbeitslosen steigt weiter. Die Arbeit ist knapp. Doch nicht für alle: Manche verdienen doppelt. Im Schatten der offiziellen Wirtschaft gedeiht die Schwarzarbeit. Welche Rolle spielt das Pfuscher- tum in Österreich? Da gehen die Meinungen auseinander. Eine neue Untersuchung weist ihm eine nachgerade unbedeutende Rolle zu. Realitätsfern?

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Die Zahl der Arbeitslosen steigt weiter. Die Arbeit ist knapp. Doch nicht für alle: Manche verdienen doppelt. Im Schatten der offiziellen Wirtschaft gedeiht die Schwarzarbeit. Welche Rolle spielt das Pfuscher- tum in Österreich? Da gehen die Meinungen auseinander. Eine neue Untersuchung weist ihm eine nachgerade unbedeutende Rolle zu. Realitätsfern?

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Mitarbeiter des Wirtschaftsforschungsinstitutes und des Statistischen Zentralamts haben eine absolute Sensation zutage gefördert. Österreich, so belegen sie in einer von der Nationalbank ge-sponserten Untersuchung über die „Parallele Wirtschaft“, hätte eine schattenwirtschaftliche Quote von bloß 3,45 Prozent. Das wäre weniger als je für ein westliches Industrieland — die Schweiz und Japan mit eingeschlossen — je errechnet wurde. Mithin spielte die Schattenwirtschaft in unserem Land eine nachgerade unbedeutende Rolle.

Nicht minder sensationell sind die exakten Zahlenangaben, mit denen die Wirtschaftsforscher und Statistiker die Öffentlichkeit überraschen. Klagen die Sozialforscher im allgemeinen über die begreiflichen Schwierigkeiten, das „Unmeßbare zu messen“, so verblüffen die heimischen Forscher mit unglaublichen Details: Die Zahl der Pfuscher in Österreich wird mit „exakt“ 241.000 Personen angegeben, sie pfuschen im Durchschnitt 15 Stunden pro Woche, und nur 23 Prozent der Schwarzarbeiter pfuschen in fremden Berufen (beispielsweise Polizisten als Taxilenker).

Für die im Rahmen der Schwarzarbeit beachtlichen Gruppen wie Studenten, Hausfrauen und Pensionisten werden in dieser Untersuchung keine „ausführlichen Kalkulationen“ angestellt, weil, wird a priori behauptet, die „Ergebnisse solcher Kalkulationen relativ bescheiden ausfielen“. Also unterstellt man ohne viele Erklärungen diesen Gruppen zehn Prozent des für Österreich behaupteten Pfuscher-Volumens.

Ende der siebziger Jahre hatte noch das Statistische Zentralamt erhoben, daß rund 10 Prozent aller Frauen in Österreich einem meist unversteuerten Nebenerwerb nachgehen, doch mittlerweile will man im Statistischen Zentralamt von den eigenen Vorarbeiten im Bereich des Pfusches offenbar nichts mehr wissen.

Diese Untersuchung mag allenfalls für Statistiker methodologisch und formal interessant sein, für den Umfang und für das Wachstum der Schwarzarbeit sowie der Schattenwirtschaft in Österreich sind die darin ausgewiesenen Ergebnisse keineswegs repräsentativ. Pointiert formuliert mag man darin den Versuch sehen, die schattenwirtschaftliche Wirklichkeit in Österreich mit statistischer Präzision abzuschaffen oder doch zu umschweigen.

Auf der einen Seite wird das Volumen der Schattenwirtschaft mit bis auf Hundertstelstelle nach dem Komma genau angegeben, auf der anderen Seite fallen Haus frauen, Studenten und Pensionisten (beispielsweise der mit 53 Jahren pensionierte Bundesbahner) praktisch durch den statistischen Rost.

„Sektoral“, so heißt es in dieser Studie, „bleiben die Nichtmarktproduzenten (öffentlicher Dienst, private Dienste ohne Erwerbscharakter) außer Betracht.“ Nun gibt es aber viele Belege für den Pfusch in Amtsstuben, für Schwarzarbeiten von öffentlichen Bediensteten oft auch während der Dienststunden, für nebenberufliches Planen und Vermessen durch Beamte, die sich häufig auch in der Rolle der öffentlichen Auftraggeber befinden.

Die Schattenwirtschaft umfaßt vier große Bereiche: Legale Tätigkeiten ohne Erwerbscharakter (Do-it-yourself, Nachbarschaftshilfe), legale Tätigkeiten mit Erwerbscharakter (Schwarzarbeiten), legale Tätigkeiten in der Grauzone zwischen Erwerbs- und Bedarf swirtschaft (Eigenregiebauten von Gemeinden, auch die Tätigkeit mancher gemeinnützigen Organisation) und illegale Tätigkeiten (Diebstähle am Arbeitsplatz, Hehlerei, Zuhälterei, Drogenhandel, Schmuggel, Korruption).

In der westlichen Industriewelt weisen Italien und Schweden die höchsten schattenwirtschaftlichen Quoten am Sozialprodukt auf. Diese Quoten liegen je nach Berechnungsart zwischen zehn und 30 Prozent, die Wahrheit dürfte in der Mitte liegen. In allen bekannten internationalen Vergleichen hält Österreich eine mittlere Position.

Eine OECD-Studie behauptet für Österreich einen 8,6prozenti- gen Anteil der Schattenwirtschaft am Sozialprodukt. Dieser Anteil wird auch in einem von allen Parteien mitbeschlossenen Ent-schließungsantrag genannt. In diesem Entschließungsantrag wird die Bundesregierung aufgefordert, sich stärker der Bekämpfung von Schwarzarbeit zu widmen.

Der frühere Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts und ehemalige Wirtschaftsstaatssekretär, Professor Hans Seidel, schätzte im Sommer 1982 in einem Hörfunk-Interview den Anteil der Schattenwirtschaft am österreichischen Sozialprodukt auf etwa zehn Prozent, beziehungsweise das Volumen auf rund 100 Milliarden Schilling. Der inzwischen ins Institut für Höhere Studien übersiedelte Hans Seidel berief sich damals auf „alle meine Erfahrungen“,und tatsächlich dürfte die Bedeutung der Schattenwirtschaft in Österreich etwa in dieser Gegend liegen.

Mit Schätzungen aber wollen sich die Autoren der jüngsten umstrittenen Schwarzarbeiter-Studie erst gar nicht abgeben. In holprigem Deutsch meint Alfred Franz, Abteilungsleiter im Statistischen Zentralamt und Hauptautor der Studie:

„Hinter solchen Schätzungen scheint oft eher ein von Alltagserfahrungen geprägtes, weder die ganze Breite der im Bruttosozialprodukt erfaßten Aktivitäten berücksichtigendes noch die tat-sächlichen (physischen, zeitlichen, marktmäßigen) Möglichkeiten der in Betracht kommenden Akteure ausreichend bedenkendes Vorurteil als gründliche Auswertung zu stehen.“

Sein Chef im Statistischen Zentralamt, Hofrat Anton Kausel, soll schon vor Jahren die schattenwirtschaftliche Quote in Österreich auf 3,5 Prozent geschätzt haben. Und just dieses Ergebnis ist nun auch herausgekommen. Bei aller Sympathie für den grenzenlos optimistischen Hofrat: Er bringt es ebenso zustande, einem arbeits- und obdachlosen, hungernden und frierenden F ami- lienvater nachzuweisen, daß es ihm — statistisch gesehen — noch nie so gut gegangen ist' wie eben in dieser Situation.

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