Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Ein bißchen mehr Selbstkritik ...
weil „es so Brauch ist", geben viele zur Antwort auf die Frage nach dem Warum des sonntäglichen „Meßbesuchs". Kirchenbesuch aus Tradition, weil „es sich so gehört". Ist nun dieses Brauchtumschristentum nicht immer noch besser als gar keines?
Eine mögliche Antwort darauf findet sich bei Norbert Leser, der einmal schreibt: „Denn auch die zur bloßen Form gewordene Tradition birgt die Möglichkeit der Erneuerung, des Durchbruchs zum Inhalt und zur Aussage, in sich. Deshalb sollten wir dankbar sein, wenn am Sonntag die Kirchenglocken läuten und wenn es noch Priester gibt, die unter schwierigen Bedingungen der Sorgepflicht über die ihnen anvertrauten Seelen nachgehen..."
Nun, für die, die dem Brauchtumschristentum in diesem Sinne nicht schon von vornherein gänzlich den Rük-ken zukehren, lautet die Frage und die sich mit ihr stellende Aufgabe wohl: wie kann man solche selbstgenügsame, in sich erstarrende Tradition verhindern, wie sie jeweils mit der Kraft der Erneuerung ausstatten?
So erfreulich es ist, daß unter der Oberfläche des Traditionschristentums viele neue Initiativen wachsen, so wenig ist dies Grund, sich schon damit zu begnügen. Denn auch um die sogenannten „Fernstehenden quot; geht es. Stehen viele nicht deshalb der Kirche fern, weil diese ihnen fernsteht und sie sie nicht dort abholt, wo sie gerade stehen?
So ist die Kirche vielen zum Relikt aus längstvergangenen Tagen geworden. Viele, die sich im praktischen Leben zu Gott und zu Jesus Christus bekennen, können sich nicht (mehr) zu einer gottesdienstlichen Praxis entschließen. Das Interesse an Jesus kontrastiert oft mit dem Desinteresse an der Kirche als Institution. Die Folge einer Enttäuschung -oder von Illusionen?
Gottesdienstpraxis scheint oft mit christlicher Praxis (im Alltagsleben) geradezu in krassem Widerspruch zu stehen. Die Ablehnung kirchlicher Normen, aber persönliche Respektierung christlicher Werte bringt viele Jugendliche in ein Verhältnis der „Teilidentifikation" mit der Kirche. Viele sehen in den großen offiziellen Zahlen an Christen ein verflachtes, substanzarmes Traditionschristentum, in der Hierarchie nur einen Verwaltungsapparat, in der kultischen Feierlichkeit einen in der barocken Tradition steckengebliebenen veräußerlichten Ritualismus und die übliche Gottesdienstpraxis als Praxis privater Selbstvervollkommnung und Brauchtumsvoilzug.
Viele spüren die Unangemessenheit des Uberlieferten, aber wären sie dafür zu tadeln?
Andererseits gibt es auch (noch) viele, die das Schwinden liebgewordener Formen und Riten beklagen, die sich wehren gegen jene, denen der Gottesdienst nie „zeitnah" genug sein könne. Für so manchen hat sich wohl seit dem II. Vatikanum zu vieles zu rasch geändert.
Sicherlich besteht das Ideal christlichen Lebens nicht in einer egoistisch-isolierten Selbstzufriedenheit des einzelnen und/oder in einer Flucht vor der Welt. Religion und Einsatz für den Mitmenschen gehören zusammen. Von größter Bedeutung ist auch, daß Christen in unserer Zeit ihre Sendung und Verantwortung gegenüber den brennenden Problemen der heutigen so komplexen Welt erkennen und - anpacken.
Einfältiger, naiver Glaube genügt nicht. Deshalb gilt auch: „Sie (die christliche Liturgie) soll jeden in seiner Fas-senskraft und Glaubensbereitschaft gegenüber der christlichen Botschaft ernst nehmen und abholen. Wo sie aber nur der Selbstbestätigung des Menschen in seiner Religiosität dient, wo sie nur Sicherheit verleiht und religiöse Bedürfnisse befriedigt und nicht mehr das Fragen und Suchen herausfordert und zum Verstehen der Botschaft Jesu einlädt, hat sie ihre evangelische Sendung verlassen" (Guido Schüepp).
Hier könnte uns ein bißchen mehr Selbstkritik wohl nur helfen. Hat die Kirche nicht zu lange alten Traditionen nachgehangen und dadurch den Menschen mit modernem Bewußtsein nicht (oder kaum) mehr zu überzeugen vermocht? Es ist sicher eine sehr schwierige, aber auch unverzichtbar notwendige Aufgabe, einerseits Modernität mitzu-vollziehen und i andererseits nicht dem „Zeitgeist" in rein opportunistischer Weise nachzulaufen.
Kirche kann sich nur von innen erneuern, und somit sollte es sich niemand leisten, nur den kritisch-beobachtenden Zuschauer zu spielen. Entscheidend wird also sein, daß die Kirche, die ja weiß, daß Christus Sinn stiftet, den Mut hat, das zu sagen, und sie braucht den sicheren Stand (und die geeignete Sprache) in der Gegenwart, damit sie so glaubwürdig spricht, daß auch die vielen Menschen, die heute Sinnlosigkeit empfinden und Sinn suchen, das Wort glauben und verstehen können.
Zahllose Menschen erleben gerade heute, daß sie „vom Brot allein" nicht leben können ...
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!