Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Ein Jahr danach
Vor einem Jahr, bei Sonnenschein und Schüttelfrost, mit kalten Händen und roten Ohren, vor einem Jahr also gab man mir das Startzeichen ins Leben: Ich bestand die Matura an einem Wiener Gymnasium, neusprachlicher Zweig, mit allem was dazugehört. Ich bestand die Matura — und das nicht schlecht.
Jetzt ist es eben - ein Jahr danach.
Große Erwartungen hat man in mich gesetzt; große Erwartungen in bezug auf meinen Fleiß und meine Ausdauer, auf mein Durchsetzungsvermögen und auf meine Intelligenz.
Daß ich an eine Universität gehen werde, war allen klar; mein Wunsch, Germanistik und Anglistik zu studieren, jedem verständlich. Mit allen guten Wünschen und einem herzlichen Händedruck wurde ich von allen Verantwortlichen und Beteiligten ins Leben entlassen. Ich glaube, sie hatten damals keine Angst um mich — damals, vor einem Jahr.
Nach den großen Ferien schritt ich voll Neugier und Tatendrang in das Universitätsgebäude, überging alle Warnungen der Berufsberater. Da schienen mir meine beiden Studienrichtungen die einzig passenden für mich und meine Interessen, hatte man mir doch große Versprechungen gemacht, was das Studentenleben betrifft. Lernen muß man schon,' aber alles ist halb so schlimm.
Zur ordentlichen Hörerin gestempelt und kartiert, begann ich meine Universitätslaufbahn — der Anfang war niederschmetternd.
Nicht das Geringste fand ich von meinen Erwartungen und Vorstellungen verwirklicht. Im Gegenteil: Ich empfand die Universität schlimmer als die Schule — Hausaufgaben, Anwesenheitsliste, Mitarbeit—die Termine sind die gleichen. Doch in der Praxis?
Hatte ich in der Schule Zeit, meine Interessen in den Unterricht mit hineinzunehmen oder mich vom Lehrer anregen zu lassen, Dinge auch noch auszuarbeiten, selbst wenn es keine Hausübung gab, so blieb mir an der Universität kaum noch Zeit, das zu lesen, was mich interessiert. Ich jagte beständig der Erfüllung meiner Leselisten nach und jegliche Freude an einem Buch verschwand, je mehr ich lustlos an der Pflichtlektüre herumwürgte.
Übungen und Vorlesungen erschienen mir oft recht lächerlich, ging es doch wieder nur darum,
Aufzeichnungen auswendig zu lernen und, mit Zeugnis versehen, ins nächste Semester geschickt zu werden.
Ich wollte der Universität entfliehen, studierte kaum mehr, versäumte Prüfungen und Vorlesungen.
Ich begann Arbeit zu suchen. Aber das erwies sich als sehr schwierig. Maturanten und Studienabbrecher können nichts und werden daher auch nicht gebraucht. Und wenn man keine akademische Laufbahn anstrebt, was bleibt einem noch? „Lernen s* was!” hieß es. Aber was?
Ein Jahr danach bin ich um viele Illusionen ärmer und meine Schritte in die Zukunft sind ohne Ziel.
Gibt es denn keine Möglichkeit, die Universität wieder zu dem zu machen, wovon man einst so geschwärmt hat: zu einem Ort, an dem Verstand und Geist im Vordergrund stehen — und nicht das sture Pauken?
Die Autorin studiert Germanistik und Anglistik in Wien
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!