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Ein Kunstlexikon aus Leipzig
Vor fast hundert Jahren begann der anerkannte Leipziger Kunstverlag E. A. Seemann mit den Vorarbeiten für ein „Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart”. Wer sich als Historiker oder Kunstwissenschaftler, als Heraldiker, Numismatiker, als Volkskundler mit Interesse für Buchbinder, Goldschmiede, Hafner, Medailleure oder Zinngießer für Künstlernamen interessiert, der greift nach den 1907 bis 1950 erschienenen 37 Bänden des „Thie-me-Becker” (wie man das Lexikon nach den Namen der ersten Herausgeber nannte). Für jeden Händler oder Sammler, der auf einem Werk eine Signatur entdeckt, ist das Lexikon unentbehrliches Hilfsmittel.
Die Nachfolge des „Thieme-Bek-ker” trat ein Künstlerlexikon des 20. Jahrhunderts an, erschienen von 1953 bis 1962, dessen Verlagsname
VEB (= Volkseigener Betrieb) E. A. Seemann hieß. Mit wissenschaftlicher Akribie finden sich nebeneinander „Blut und Boden-Künstler” aus der NS-Zeit, Dadaisten, Meister der Ecole de Paris, amerikanische Maler, östliche Kunstschaffende in der Art des „sozialistischen Realismus”.
Das Archiv des Verlages blieb von Umbrüchen unbehelligt, der Drang zur Fortsetzung der einmal begonnenen Arbeit, wohl auch die echt teutonische Freude an der Lexikographie veranlaßten den „VEB E. A. Seemann” dann, mit Hilfe zahlloser auf Kunsthistorikerkongressen und durch persönliche Bemühungen angeknüpfter internationaler Kontakte ein umfassendes „Allgemeines Künstler-Lexikon aller Zeiten und Völker” (AKL) anzugehen. Ab 1983 legte der Verlag drei voluminöse Bände über Künstler mit dem Anfangsbuchstaben A vor, der Abschluß im vierten Band ist eben druckreif.
Aber die geänderten Verhältnisse führten einen Bruch in der Entwicklung herbei. Seit Herbst 1990 war es das Problem der Redaktion, die Kontinuität zu sichern. Der ehemalige Verlagsleiter und vorläufige Geschäftsführer sah die wichtigste Chance zur Sanierung des Verlages in der Schließung der Redaktion für das Allgemeine Künstler-Lexikon.
Ein Lexikon, von dem kaum ein Zwanzigstel des geplanten Umganges vorliegt, kann kein Bestseller sein. In zehn oder zwanzig Jahren aber wird keine größere Bibliothek zwischen Sydney und Ottawa, zwischen Stockholm und Kapstadt ohne das AKL auskommen, werden auch andere Kulturkreise, der zyrillische, der arabische oder der fernöstliche, zu den Kunden zählen. Aber bis dahin? Mit Jahresende 1990 wurden die ältesten Mitarbeiter des AKL gekündigt, seit 1. Jänner 1991 beziehen alle Redakteure Arbeitslosenunterstützung.
Woher könnte Hilfe kommen? Sicher in erster Linie von Förderern oder Sponsoren in der Bun-desTepublik. Aber sollten nicht auch die Akademien des deutschen Sprachraumes ein derartiges Werk unterstützen, oder die Kunsthistorikervereinigungen? Könnte nicht die Wissenschaftsförderung anderer Länder hier eingreifen, die landeskundlichen Vereine, der Notring? Auch Kunsthändler und große Auktionshäuser wären Ansprechpartner, da das Allgemeine Künstler-Lexikon für sie ein wesentliches Rüstzeug zu ersprießlicher Arbeit bildet. Museen und Galerien ebenso wie die großen privaten Sammler könnten ihrem Ruf als Mäzene durch eine Förderung dieses Unternehmens vielleicht eher entsprechen als durch den Erwerb von teuren Einzelobjekten der Malerei, der Plastik oder des Kunstgewerbes.
Vieles im Osten ist im Umbruch, manches wird den Sprung in die Zukunft nicht schaffen. Aber ein traditionsreiches Unternehmen, an dem Umbrüche verschiedenster Art bisher fast spurlos vorübergingen, sollte gerade in einer Zeit anbrechender geistiger Freiheit, einer Zeit zukunftsorientierter Arbeit auf allen Gebieten, nicht sang- und klanglos entschlummern müssen.
Der Autor war Direktor des Stadtmuseums
Linz.
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