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Ein Motto ist Verpflichtung

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Die ersten einem Motto unterstellten Wiener Festwochen sind vorbei. Oberflächlich betrachtet, erwies sich die Bindung an ein Thema als gute Idee,-bei der man bleiben kann. Ein hoher Prozentsatz von Veranstaltungen hatte in irgendeiner Weise mit Biedermeier und Vormärz zu tun. Vor allem die musikalischen, weil schon bei der Festlegung des Mottos erkennbar gewesen war, daß Franz Schubert alle Musikprogramme dieses Jahres beherrschen werde. Wie im „Kleinen Prinzen“ von Saint-Exupery, befahl der weise König nach einem kurzen Blick in den Kalender der Sonne, genau zum vorgesehenen Zeitpunkt aufzugehen, und sie gehorchte.

Auch in den Theaterprogrammen hat sich das Festwochenmotto niedergeschlagen, aber hier schon lange nicht mehr so dicht wie in den vom Jahresregenten Franz Schubert beherrschten Konzerten.

Und die Ausstellungen? Da gab (beziehungsweise gibt) es eine große Schubert-Schau, eine Theater-im-Vormärz-Ausstellung, da gibt es die nicht ohne glückliche Zufälle möglich gewordene Ausstellung Caspar David Friedrich und Phüipp Otto Runge im Belvedere, und zwei schon etwas zufällig herausgegriffene Maler, Gurk und Loder, in der Albertina. Und natürlich die schöne Klassizismus-Ausstellung im Museum der Stadt Wien.

Was es aber 1978 nicht gab: Die große, zentral veranstaltete Uberschau einer Epoche, die als Mittelpunkt solcher themengebundener Festwochen doch selbstverständlich wäre und mehr sein sollte als das von irgendwelchen zufälligen Gegeben- und Gelegenheiten herbeigeführte Rendezvous aus der Zeit stammender, irgendwie zusammengehöriger Objekte. Auch mehr als die tiefgründige Durchdringung eines noch so wichtigen Teilaspektes. Vielmehr: Die Gesamtdarstellung einer Stadt in einer Zeit mit allen wichtigen Aspekten, Darstellung der politischen Geschehnisse, der sozialen Gegebenheiten, der Querverbindungen zwischen Musik, Malerei, Literatur, Architektur, politischem und gesellschaftlichem Geschehen, der internationalen Bezüge.

Das Fehlen einer solchen Ausstellung war 1978 vielleicht noch einigermaßen verzeihlich - weil unter Zeitdruck geplant worden war, weil es eine Fülle von Literatur über Wien im Vormärz und Biedermeier gibt. Die späteren Jahrzehnte sind lange nicht so intensiv aufgearbeitet.

Die Festwochen 1979 sollen „Wien 1848 bis 1918 - Metropole in Europa“ zur Darstellung bringen. Einen Jahresregenten wie Schubert gibt es nicht, dafür eine verwirrende Fülle von Entwicklungen. Der gewählte Zeitraum ist viel zu groß. Er umfaßt Epochen nicht eine Epoche. Zwischen frühem Nachmärz und fin de siecle, Votivkir-che und Losshaus, Semper und Hoffmann klaffen Welten.

Aber wenn man Wiens Geschichte vom Vormärz bis zum Zweiten Weltkrieg schon unbedingt im Sauseschritt der Festwochen dreier aufeinanderfolgender Jahre zur Darstellung beziehungsweise hinter sich bringen wollte, dann doch wenigstens nicht ohne den Versuch einer intellektuellen Aufarbeitung, einer großen Uberschau, einer Bewußtseinsbildung bei der Bevölkerung dieser Stadt.

Jeder weiß, daß große, repräsentative Kunstausstellungen unter internationaler Beteiligung heute kaum mehr möglich sind - wegen der steigenden Versicherungssummen und der konservatorischen Probleme. Was aber nach wie vor möglich ist: Selbstgemachte Ausstellungen, die nicht mit dem Wert der Objekte prunken, sondern die große Uberschau in Angriff nehmen, die versuchen, mit Photos, Schrifttafeln, audiovisuellen Mitteln, ausgewählten, repräsentativen Einzelobjekten Geschichte und Geistesgeschichte erlebbar zu machen.

Das ist nach wie vor möglich. Das hätte mehr Sinn als die Bezirksfestwochen, die zum Teil gründlich danebengehen. Derlei wäre auch keine Konkurrenzierung von Einzelausstellungen. Man hätte freilich früh genug mit der zentralen Vorbereitung beginnen müssen. Hätte die Notwendigkeit einer solchen Ausstellung erkennen müssen.

Nichts derlei ist absehbar. Die Wiener Festwochen verstehen ihr Motto nicht als Verpflichtung, sondern nur als unverbindliches Stichwort. Jammerschade. Denn diese Chance kommt nicht so bald wieder.

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