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Ein Schlußlicht?

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Vor einiger Zeit veröffentlichte das europäische Wirtschaftsmagazin „Vision“ einen 10-Länder-Vergleich über das, was die öffentliche Meinung als „Lebensqualität“ zu verstehen glaubt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es bisher allen einschlägigen Wissenschaften nicht gelungen ist, eine verbindliche Definition für diesen Kautschuk-Begriff zu finden, obwohl Forscher seit Jahren nach festen Größen, nach Indikatoren, suchen, um die „Lebensqualität“ zu berechnen. Wo Exaktheit problematisch wird, fühlen sich Parteien angesprochen: Ohne „Lebensqualität“ zu sagen, warb im Wahlkampf 1970 die SPÖ mit ihrem „Humanprogramm“ für ein besseres, schöneres, gesünderes, glücklicheres und längeres Leben. SP-Vorsitzender Dr. Kreisky kämpfte damals höchstselbst gegen das „Sterben vor der Zeit“, was an der vergleichsweise niedrigen Lebenserwartung der Österreicher nichts änderte, und eigentlich nur Kreisky reüssieren ließ. Zuletzt stieg die ÖVP mit ihrem „Plan 1“ in die parteipolitische Nutzbarmachung der Lebensqualität ein.Mit diesem Reizwort, das den Nerv des Wählerpublikums trifft, weckte sie Emotionen und es bleibt abzuwarten, ob sich das auch in Stimmengewinnen niederschlagen wird.

„Lebensqualität“ umfaßt vieles: die persönlichen Einkommensverhältnisse, Sicherheit des Arbeitsplatzes, hohe Lebenserwartung, eine funktionierende Infrastruktur im Bildungs-, Gesundheits- und Wohnbereich Rechtssicherheit usw. „Vision“ nennt in seinem Vergleich der „Lebensqualität“ in zehn Industriestaaten 25 Indikatoren, die Inflationsraten in den letzten zehn Jahren sind geradeso darunter wie die Zahl | der Krankenhausbetten pro 10.000 Einwohner und die Verkehrstoten je 10.000 Einwohner. Österreich schneidet in diesem 10-Länder-Vergleich äußerst schlecht ab, denn

• der Österreicher hat die geringste Lebenserwartung,

• auf 10.000 Einwohner entfallen die meisten Verkehrstoten, und

• Österreich hat auf 1000 Haushalte die wenigsten Waschmaschinen, die wenigsten Kühlschränke und die wenigsten Fernsehapparate.

Dabei hat Österreich, was dieser Vergleich auch aussagt, vor allem im ökonomischen Bereich einiges Terrain aufgeholt — das reale Wachstum des Bruttosozialprodukts stieg rascher und die Verbraucherpreise vergleichsweise langsamer als anderswo. Wir befinden uns mit unserem Wirtschaftswachstum tatsächlich auf der Überholspur, was freilich nicht besagt, daß die Österreicher nun auch plötzlich an Besitz und Vermögen reicher geworden wären als etwa die Briten. Denn die britische Vermögenssubstanz ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen-Akkumulationsprozesses, den die Österreicher noch vor sich haben.

Das heimische Wirtschaftsmagazin „Der Unternehmer“ ordnet den Angaben im 10-Länder-Vergleich der „Lebensqualität“ Punkte zu, zehn Punkte für den ersten Rang und einen Punkt für den letzten Rang. In einem solchen Klassement liegt Schweden (166,5 Punkte) an erster Stelle, Österreich (105,0 Punkte) dagegen auf dem letzten Platz. Mit einigem Abstand hinter Schweden rangieren Holland und die USA, knapp vor dem Schlußlicht Österreich sind Großbritannien und Frankreich placiert. Ausschlaggebend für den letzten Platz Österreichs im Lebensqualitäts-Klassement ist der äußerst niedrige Gesundheitsstandard (niedrige Lebenserwartung, hohe Säuglingssterblichkeit). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen übrigens auch Christof Gaspari und Hans Millendorfer in ihrer Untersuchung „Prognosen für Österreich“. Sie meinen: „Nach dem Kriterium der Gesundheitsentwicklung kann Österreich als das letzte Land von Nordwesteuropa oder als eines der besseren Länder von Südosteuropa verstanden werden.“ Eine entscheidende Rolle für die schlechte „Lebensqualität“ in Österreich spielt ferner die rückständige technische Ausstattung unserer privaten Haushalte. Obwohl die technische Ausstattung der österreichischen Unternehmen in diesem Vergleich nicht erfaßt wurde, ist anzunehmen, daß Österreich auch hier noch viel Terrain wettzumachen hat. Unser schlechter „Lebensqualitäts“-Stan-dard macht hier noch sehr viele Investitionen erforderlich. Gaspari und Millendorfer meinen in ihrer Untersuchung, daß in Österreich noch große Reserven im „intensiven Wachstum“ vorhanden sind, daß der Einsatz von Kapital und Bildung noch viel wirksamer werden könnte, wenn erst einmal jene Hindernisse abgebaut würden, die sich in Form von ineffizienten Verhaltensweisen einer steigenden Produktivität entgegenstellen.

Daß von der öffentlichen Hand die nötigen Impulse für eine Verbesserung der „Lebensqualität“ kommen werden, muß füglich bezweifelt werden: Unter allen OECD-Staaten lag Österreich 1971 mit einem Steueranteil von 36,8 Prozent am Bruttosozialprodukt an fünfter Stelle; der Staat greift demnach in Österreich stärker in die Lebensverhältnisse ein als anderswo. Vergleicht man die Lebensqualität in Österreich mit der in anderen Industriestaaten, so muß die Rolle Österreichs als Schlußlicht in diesem Klassement jene verstö-ren, die meinen, daß der Staat ein quasi-monopolistischer Promotor individueller und nationaler „Lebensqualität“ zu sein hat.

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