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Ein Spiel in Grenzen

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In Linz macht seit einiger Zeit ein junger, engagierter Verlag von sich reden: Die Edition Neue Texte. Namhafte Autoren wie Gerhard Rühm, Elfriede Czurda oder Reinhard Prießnitz bilden das Lektorat und bürgen für literarische Qualität. Die Edition Neue Texte ist ein „nichtprofitabler Verlag“; es geht also nicht um kommerziellen Erfolg, sondern um die Förderung von jungen Autoren, die bei anderen Verlagen kaum Publikationsmöglichkeiten vorfinden. Einer dieser jungen Autoren ist der Salzburger Bodo Hell, der bisher vor allem als Hörspielautor hervorgetreten ist

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In Linz macht seit einiger Zeit ein junger, engagierter Verlag von sich reden: Die Edition Neue Texte. Namhafte Autoren wie Gerhard Rühm, Elfriede Czurda oder Reinhard Prießnitz bilden das Lektorat und bürgen für literarische Qualität. Die Edition Neue Texte ist ein „nichtprofitabler Verlag“; es geht also nicht um kommerziellen Erfolg, sondern um die Förderung von jungen Autoren, die bei anderen Verlagen kaum Publikationsmöglichkeiten vorfinden. Einer dieser jungen Autoren ist der Salzburger Bodo Hell, der bisher vor allem als Hörspielautor hervorgetreten ist

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Bergerzählungen nennt er seine drei Geschichten, und sie haben auch alle Bergnamen zum Titel: Hochjoch, Mischabel und Dom. Doch wer sich davon eine Art „Alpinliteratur“ oder Bergsteigerromantik erwartet, wird enttäuscht sein. Bodo Hell, selbst begeisterter Bergsteiger, will etwas ganz anderes; es geht ihm nicht um die Verherrlichung einer körperlichen Leistung oder um simple Naturschwärmerei, sondern er will „die Affinität von Körper- und Sprachbewegung in den drei Erzählungen jeweils an einem anderen Material vorführen.“ Bergsteigen ist ja eine der extremsten und intensivsten Formen von körperlicher Bewegung. Dieses Moment will Hell nun auf Sprache übertragen, das heißt, an der Sprache Bewegungsabläufe, Formen und Brüche feststellen, er will hinter die glatte Oberfläche einer scheinbar funktionierenden syntaktischen Ordnung schauen.'

Bodo Hell packt das Ganze vom Formalen her an. Indem er Worte untersucht, sie nach ihren verschiedenen Bedeutungen hinterfrägt und trotzdem einen scheinbar flüssigen Redestrom beibehält. Wenn er etwa anfangs schreibt „... ist die Hauptstraße gleichzeitig die UMFAHRUNGS-STRASSE um den Ort, umfährt sie den Ort, oder führt sie an ihm vorbei, ist die einzige Straße früher mitten durchs Dorf gegangen, führen die wichtigsten Straßen heute an Orten vorbei, läßt sich das Vorbeifahren an dem Ort, in den man hineinfahren will, vermeiden, ist das Wenden nicht überhaupt verboten, kommt es vor, daß jemand darauf verzichtet, in jenen Ort hineinzufahren und zum nächsten Ort weiterfährt...“

An ein einziges Wort (Umfahrungsstraße) knüpft Hell also eine Reihe von Assoziationen an, scheinbar harmlose, spielerische Gedanken, die dann immer härter werden, fragender, entlarvender, so daß das Wort Umfahren plötzlich eine fast bedrohliche Bedeutung erlangt; die der Kommunikationslosigkeit zum Beispiel, oder die des Aneinandervorbeilebens. Die Assoziationsketten spielt Hell durch alle drei Erzählungen hindurch aus, wenn auch jedesmal in anderer sprachlicher Form. In der letzten zum Beispiel hat er Handlungsebene und Assoziationsebene getrennt, läßt sie nebeneinander stehen wie Blöcke, die manchmal ineinandergreifen.

Ein geglücktes formales Experiment, da es selten aufdringlich wirkt, nie von krampfhaft zusammengestoppelten Bedeutungskonstruktionen überlagert wird. Die spielerische Ebene bleibt erhalten, das Vergnügen, die Sprache umzukehren, zu zergliedern, durcheinanderzuwirbeln. Und trotzdem zeigt Hell, daß das Spiel nur in Grenzen möglich ist, daß man nicht ausbrechen kann aus festgefügten Sprachstrukturen, genauso, wie man nicht aus dem Bewegungsablauf ausbrechen kann, wenn man einen Berg besteigen will. Denn sonst würde man abstürzen, und ein sprachlicher Absturz würde in Schweigen verdämmern. In diesen Punkten treffen einander Inhalt und Form, wird das Klettern, das Ersteigen eines Berges zur Metapher und zur Kritik an den Wahr-nehmungs- und Bewegungsmechanismen. Eine Kritik, die sich ihrer Wirkungslosigkeit allerdings bewußt sein müßte.

Es gibt auch weniger überzeugende Stellen in diesem Buch, und zwar genau dann, wenn die spielerische Ebene aufgegeben wird zugunsten einer aufgesetzten Kritik, zugunsten von Krampf und klischierten Angriffen. In diesen Momenten schlägt sich Hell mit seinen eigenen Waffen, wird seine Sprachkritik zu einem heuen Mechanismus, zu einer bloßen Form. Doch diese Stellen sind eher Ausnahmen.

Das Buch ist jedenfalls ein Beweis dafür, daß die Zeit der formalen Sprachexperimente noch nicht abgeschlossen ist, daß die „Mode der konkreten Poesie“ langsam überwunden wird, Sprachkritik wieder originär werden kann, wenn sie ihre eigenen Ansprüche nicht überspannt und damit zur Bestätigung erstarrt.

DOM, MISCHABEL, HOCHJOCH, drei Erzählungen von Bodo Hell. Edition Neue Texte, Linz 1977,103 Seiten, öS 94,—.

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