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Ein Wiener Stil erobert die Welt
Als im Oktober vor 40 Jahren die weltberühmte „Wiener Werkstätte“ zusperren mußte und das Warenlager versteigert wurde, verlor Wien einen seiner internationalen Aktivposten auf dem Gebiet des Kunsthandwerks. Jugendstil, Modern Style, Art deco waren endgültig vorbei. Die „Wiener Werkstätte“, 1903 nach schottischem und englischem Vorbild als „Produktionsgemeinschaft von Künstlern“ gegründet, um der Industrialisierung entgegenzuwirken und dem Kunsthandwerk neue Impulse zu geben, war Geschichte geworden. Heute sind freilich die Arbeiten der Mitglieder Gustav Klimt, Josef Hoffmann, Koloman Moser, Dagobert Peche, C. O. Czeschka, Eduard Wimmer-Wisgrill Kostbarkeiten.
Als im Oktober vor 40 Jahren die weltberühmte „Wiener Werkstätte“ zusperren mußte und das Warenlager versteigert wurde, verlor Wien einen seiner internationalen Aktivposten auf dem Gebiet des Kunsthandwerks. Jugendstil, Modern Style, Art deco waren endgültig vorbei. Die „Wiener Werkstätte“, 1903 nach schottischem und englischem Vorbild als „Produktionsgemeinschaft von Künstlern“ gegründet, um der Industrialisierung entgegenzuwirken und dem Kunsthandwerk neue Impulse zu geben, war Geschichte geworden. Heute sind freilich die Arbeiten der Mitglieder Gustav Klimt, Josef Hoffmann, Koloman Moser, Dagobert Peche, C. O. Czeschka, Eduard Wimmer-Wisgrill Kostbarkeiten.
Für „WW“-Silber, Möbel, Teppiche, Glas, Druckwerke (zum Beispiel Kokoschkas „Träumende Knaben“), Modeartikel, Bucheinbände, Stickereien zahlen internationale Museen und Privatsammler Höchstpreise. Das Museum für angewandte Kunst hat Ende 1971 eine Ausstellung zusammengestellt, die zuerst in Graz und nun auch in Wien gezeigt, wird. Eine kleine, aber informative Schau: 100 Objekte, die vor allem demonstrieren, was Materialbewußtsein und Sinn für klare Formen bedeuten. Oder wie Josef Hoffmann 1928 formulierte: „Unsere Kleidung, unsere Autos, unsere Schiffe, Bahnen und alle Maschinen haben ihre zeitgemäße Form gefunden, und es ist selbstverständlich, daß auch alle übrigen Gebiete ihre neue Form suchen. Wir wollen mit dem Täglichen in Harmonie und Einklang stehen und wollen uns nicht fürchten, wenn unseren Künstlern und Mitarbeitern einmal etwas einfällt. Wir stehen bewußt in den vordersten Reihen der Entwicklung und erwarten von allen aufrichtigen Kulturmenschen aufrichtiges Verständnis und dementsprechende Förderung.“
Dieses mutige Bekenntnis zu Neuem war programmatisch gewesen: Man wollte den Geschmack des Durchschnittsbürgers „regenerieren“, auf die Qualität des Handwerks aufmerksam machen, allen sagen: Besser ein neues zeitgemäßes Original als eine Kopie von Gestrigem. Oder wie Hoffmann und Kolo Moser gemeinsam 1905 argumentierten: „Wir wollen innigen Kontakt zwischen Publikum, Entwerfer und Handwerker herstellen und gutes, einfaches Hausgerät schaffen. Wir gehen vom Zweck aus, die Gebrauchsfähigkeit ist uns erste Bedingung, unsere Stärke soll in guten Verhältnissen und in guter Materialbehandlung bestehen... Wir können und wir wollen nicht mit der Billigkeit wetteifern; dieselbe geht vor allem aur Kosten des Arbeiters; um diesem wieder Freude am Schaffen und eine menschenwürdige Existenz zu erringen, halten wir für unsere vornehmste Pflicht.“
Ein zutiefst humanes Programm stand im Hintergrund dieser künstlerischen Ideen, bei denen Leben, Umweltgestaltung, Humanität,
Schönheit eins waren. Für Billigkeitsrekorde und schäbige Materialfülle waren da kein Platz. Bei Buchbinderarbeiten sah man genauso auf exakteste Ausführung in edlen Materialien wie bei Tischlerarbeiten ... „Solange nicht unsere Städte, unsere Häuser, unsere Räume, unsere Schränke, unsere Geräte, unsere Kleider und unser Schmuck, solange nicht unsere Sprache und unsere Gefühle in schlichter, einfacher und schöner Art den Geist unserer eigenen Zeit versinnbildlichen, sind wir unendlich weit gegen unsere Vorfahren zurück und keine Lüge kann uns über alle diese Schwächen hinwegtäuschen.“ Als die Wiener Werkstätte, immerhin für viele ausländische Designentwicklungen bis heute ein Vorbild, zusperrte, ging dieses Denken in Wien endgültig verloren: Daß heute auf allen Gebieten schlechte Massenproduktion (ja sogar schon wieder Stilimitationen), industriell diktierte Moden, der unbelehrbare Durchschnittsgeschmack regieren, zeigt, wie wenig Spuren die Wiener Werkstätten hierzulande hinterlassen haben. Ein Blick in die meisten Wiener Auslagen der ehemaligen Nobelgeschäfte: banalste Dekors; neue Wiener Geschäftsportale der ehemaligen Nobelstraßen: mit wenigen Ausnahmen geschmackliche Greueltaten, für die sich eine Provinzstadt schämen müßte; Kunstgewerbegeschäfte: sofern sie nicht in drittklassige Souvenirläden umgewandelt wurden, bieten sie vorwiegend das, was sich am leichtesten absetzen läßt. Von einem Wiener Stil kann kaum noch die Rede sein. Alles in allem: Wir tun alles, die Erinnerung an Wiens hervorragenden Ruf als Zentrum einer modernen Lebenskultur gewaltsam auszurotten.
Eine Ausstellung, die an die Zeiten erinnert, da man sagte, die Wiener Werkstätte „wurde durch mustergültige Edelarbeit und erlesenen Geschmack zur Erzieherin der ganzen zivilisierten Welt und erhob so bestes Wiener Wesen zu wahrhaft internationaler Bedeutung“!
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