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Einander die Hände reichen

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Unlängst erreichte mich die schöne und umfassende Dokumentation über das Diözesanforum der Erzdiözese Wien. Sie war Anlaß, mich gedanklich zurückzuversetzen an den Beginn dieses Prozesses, wie Kardinal Groer es bezeichnet hatte. Was war der Ursprung, der Anstoß dazu, solch einen Prozeß ins Leben zu rufen?

War es nicht auch in Wien eine Situation der Konflikte, der gegenseitigen Schuldzuweisung, der Nestbe-schmutzung? Ich weiß, daß ich damals sehr gelitten habe. Schlaflose Nächte, gedanklich immer damit befaßt, obwohl ich nicht unbedingt persönlich davon betroffen war.

Die Situation in Wien war bei weitem nicht so schwerwiegend, so verletzend, so eskalierend wie heute in St. Pölten und indessen weit darüber hinaus. Aber unser Wunsch, zur Verbesserung der Lage beizutragen, war groß. Der Gedanke, auf diözesaner Ebene ein Forum zu schaffen, wurde freudig aufgegriffen. Ein Forum, wo Anliegen, Sorgen, Nöte eingebracht werden können, wo hingehört wird, jeder gleichberechtigt zu Wort kommen kann, ernst genommen wird, und wo die ganze Diözese, das ganze Gottesvolk, gemeinsam nach Lösungen und Verbesserungen sucht.

Vier Jahre hat dieser Prozeß gedauert. Viel hat sich in dieser Zeit verändert, auch die Situation in Wien, aus der heraus damals die Idee geboren wurde. Leider aber war die Veränderung nur eine örtliche. Im Verhalten zueinander, im Umgang miteinander hat sich nichts geändert.

Doch es hat uns, die wir im Forum mitgearbeitet haben, einander näher gebracht. Wir haben uns an einen Tisch gesetzt, gemeinsam den Willen gehabt, auf ein besseres „Miteinander” hinzuarbeiten. Den Konflikt nicht wegzuleugnen, sondern anzusprechen. Und wir haben Wege beschritten, die uns spüren ließen, daß sie zueinander führen und für keinen verletzend sind.

Wir waren alle gleichwertige Glieder dieser Kirche. Ob Frau, ob Mann, ob Laie, Priester oder Bischof. Wir haben aufeinander hingehört, einander angenommen und uns emsthaft mit den Sorgen und Nöten der Menschen, die sie uns anvertraut hatten, auseinandergesetzt. Dabei haben wir einander erlebt und dadurch viel von uns selbst erfahren. Wir haben uns besser kennengelernt. Alle saßen wir im selben Boot. Die Verschiedenheiten in unseren Ansichten waren nicht Streitpunkte, sondern Bereicherung. Wir haben voneinander gelernt, sind zusammengerückt und haben gespürt, d%ß wir einander brauchen.

Diözesanbischof Kurt Krenn, damals Weihbischof in Wien und der eigentliche Anlaß zur Einberufung des Forums, aber hat sich an diesem Prozeß nicht beteiligt. Nicht immer anwesend, ließ er keine Bereitschaft erkennen, von vorgefaßten Meinungen abzurücken. Schien nicht bereit, auf die Anliegen der Menschen hinzuhören und sie emstzunehmen. Trotz liebevollen Bittens konnten wir ihn nicht dazu bewegen, seine harten Forderungen an die Hochschuljugend neu zu überdenken und damit zur Verbesserung der Lage beizutragen. Schade, daß er nicht mit uns die gegenseitige Bereicherung eines Miteinander erlebt hat. Vielleicht wäre heute manches leichter in St. Pölten.

Das Forum-Motto: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht”, ist ein Schriftwort (Phil. 2,5). Es ist eine Aufforderung und Lebenshilfe, solange es Menschen gibt, die miteinander leben müssen. Was gehört zu dieser Gesinnung? In erster Linie das Hinhören auf den anderen, ihm menschlich begegnen, ihn verstehen wollen, seine Sorgen zu eigenen zu machen. Im Dialog nach Verbesserungen suchen verbindet. Man geht ein Stück Weg gemeinsam. Das gibt die Chance, alte Verkrustungen, Verletzungen auszuräumen und neu zu beginnen. Der jetzige Weg ist ein Irrweg. Er sollte so schnell wie möglich beendet werden, um unserer Kirche nicht noch größeren Schaden zuzufügen.

Ich möchte Herrn Diözesanbischof Krenn inständig bitten, öffentlich ein Zeichen der Versöhnung zu setzen. Öffentlich deswegen, weil auch die Verletzungen via Medien alle Christen miterleben mußten. Reicht einander die Hände! Versöhnen und Verzeihen gehören zu unserer Gesinnung. Versöhnung ist aber nur möglich, wenn beide Seiten aufeinander zugehen. Einer allein kann nicht streiten und auch nicht Versöhnung erreichen. Wir alle sind Glieder dieses einen Leibes, und wir lieben unsere Kirche. Wir leiden. Wer könnte angesichts solcher Vorkommnisse die Urkirche erkennen, von der die Heiden sagten: „Seht, wir sie einander lieben!”

Die Verfasserin ist Präsidentin der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien.

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