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Eine gewisse Naivität

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In Österreich steht eine Reihe von Schulversuchen bevor, deren Einzelheiten noch nicht feststehen, die aber eines Tages dafür entscheidend werden könnten, mit welchen Optionsmöglichkeiten die heranwachsenden Staatsbürger in welchem Alter konfrontiert sein werden. Nicht als konkreter Vorschlag, sondern als Überlegung zur Methodik solcher Schulversuche an sich versteht sich ein Brief, den Universitätsprofessor Dr. Rudolf Gönner, Vorstand des Instituts für Pädagogik der Universität Salzburg, kürzlich an Unterrichtsminister Leopold Gratz gerichtet hat

Es geht Gönner dabei in erster Linie um die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um mit Hilfe solcher Schulversuche zu gesicherten Aussagen zu gelangen, die als Entscheidungshilfe für „Maßnahmen von hoher politischer Verantwortung“ herangezogen werden können. Gönner möchte vermieden sehen, daß Schulversuche zu einem naiven Herumprobieren werden, was, so der Verfasser der Studie, auch wegen der unmittelbar vom Versuch betroffenen Kinder nicht verantwortet werden könnte.

Jede wissenschaftliche Begleitung und Kontrolle von Schulversuchen muß, so Professor Gönner, auf der Basis adäquater Vergleichsmöglichkeiten erfolgen, wovon einzig und allein die Versuche zur Institutionalisierung der Hauptschullehrerbildung auszunehmen sei, da es sich hier um eine Neuerung und Erprobung handle, für die keine Vergleichseinrichtung vorhanden ist.

In allen anderen Fällen möchte der Institutsvorstand alles Augenmerk darauf gerichtet sehen, daß die gebotenen Vergleichs- und Kon troll - bedingungen erfüllt sind, denn „nur auf der Gewißheit der vergleichbaren, ja gleichartigen Ausgangs position und Basisdaten“ könne die Wissenschaftliche Verantwortung für eine Mitwirkung an den Schulversuchen getragen werden. Die^Wissenschaft, so stellt Gönner in seinem Schreiben fest, müsse jede Begleitung und Mitverantwortung ablehnen, wenn sie den Eindruck bekomme, „daß da oder dort eine solche Naivität, eine gewisse Schlichtheit und Einfältigkeit, sei sie nun gespeist aus dem besten Willen zur Mitarbeit, sei sie — was bestimmt abzulehnen ist — aus Geltungsbedürfnis erfließend, zu einem mangelhaften Konzept führt und sich dies etwa im Unvermögen zur Differenzierung oder in mangelnder Schärfe der Problemstellung äußert.“ Er fordert ein klares Konzept und eine detaillierte Forschungsstrategie zu Beginn jedes Versuches und betont ausdrücklich, daß die Versuchsschulen und die zum Vergleich herangezogenen Schulen herkömmlicher Art „sich nicht von vornherein bedeutsam unterscheiden dürfen“, wobei bereits die Unterschiedlichkeit zwischen den Lehrern selbst bei durchaus zu vergleichenden Lehrverfahren zu „erheblichen Differenzierungen im Ergebnis“ führen kann und auch in Rechnung gestellt werden muß, „daß ein unterschiedliches Aussehen einer Schule und ihrer Räume Auswirkungen auf Verhalten und Leistung der Schüler“ habe. Freilich erkennt Gönner die Schwierigkeiten wissenschaftlicher Kontrolle von Schulversuchen und stellt selbst fest, daß, würde man hier ganz genau sein, solche Begleituntersuchungen zum Teil ins Uferlose gehen würden.

Schwarzweißergebnisse werden ohnehin nicht erwartet, vielmehr höchst differenzierte Ergebnisse, freilich von hoher praktischer Bedeutung, möglicherweise für Generationen.

Neues bundesdeutsches statistisches Material macht diese Bedeutung besonders deutlich. Demnach treten 38 Prozent aller bundesdeutschen Abiturienten, die ein neusprachiges Gymnasium absolviert haben, anschließend in ein Studium geisteswissenschaftlicher Richtung ein, nur 6,6 Prozent dieser Abiturientengruppe entscheiden sich für technische, knapp 11 Prozent für Naturwissenschaften.

Hingegen studieren über 40 Prozent der Abiturienten aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig Technik oder Naturwissenschaften, nur halb so viele dieser Gruppe setzen in den Geisteswissenschaften fort. Während nahezu die Hälfte aller Abiturienten aus den Wirtschaftsgymnasien sich für Wirtschaft, Rechts- und Sozialwissenschaften entscheidet und nur weniger als 3 Prozent für Technik, 7,5 Prozent für Naturwissenschaften. Solche Zahlen belegen, was man bisher zwar erfahrungsmäßig wußte, aber noch nicht so genau statistisch belegen konnte: Die Wahl für einen bestimmten Zweig des Gymnasiums bestimmt weitgehend über den Lebensweg, sehr oft schon in einem Alter, in dem eigene Entscheidungen aus Gründen, die entweder im Individuum liegen oder aber in seiner Umgebung, noch gar nicht getroffen werden können.

Untersuchungen darüber, in wie- vielen Fällen tatsächlich ermittelte Begabung ausschlaggebend für die frühe Festlegung auf einen Ausbildungsweg war, gibt es nicht. Sicher ist, daß die frühe Festlegung späteres „Ausbrechen“ erschwert und den Wechsel vom technischen in den geisteswissenschaftlichen Bereich oder umgekehrt sehr oft verhindert. Vor allem natürlich ersteres.

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