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Einsamkeit im Osten

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Ihre Situation ist nicht beneidenswert. Sie stehen abseits jeder staatlichen Unterstützung, oft beklagen sie, daß sie nur noch für eine gewisse Zeit geduldet werden. Aber trotzdem kann man ihre Arbeit nicht übersehen. Die polnischen katholischen Wissenschaftler haben es gewiß nicht leicht. Aber die Ergebnisse sind oft verblüffend.

So erschien vor kurzem im polnischen katholischen Verlag „Wiezi“ die Arbeit des Leiters der katholischen Universität in Lublin, übrigens der einzigen katholischen Hochschule in den osteuropäischen Ländern, Piwowarski: „Die ländliche Religiosität unter den Bedingungen der Urbanisierung“. Das Ergebnis der Forschungsarbeit ist, daß es zum Unterschied zum Westen, in Polen keine Krise des Katholizismus auf dem Lande gibt. In einer Befragungsaktion, die erstmals seit Kriegsende im Land durchgeführt wurde, und die rund 26.000 Einwohner ostpolnischer Dörfer erfaßte, stellte Piwowarski fest: 95 Prozent der Befragten bekennen sich zum Katholizismus. Auf die Frage, ob ihre Religiosität früher größer war als heute, gaben 74 Prozent an, daß sich in dieser Hinsicht nichts geändert habe. Rund 95 Prozent gaben an, daß sie mindestens einmal im Jahr zur Beichte und zur Kommunion gehen.

Von der Stärke der ländlichen Religiosität zeugt auch das Verhältnis der Gläubigen zum Priester. Wieder haben 95 Prozent die Frage, ob Geistliche notwendig sind, mit Ja beantwortet. Als negativ wird „ein geringer Grad des religiösen Bewußtseins“ bezeichnet, was sich dadurch kennzeichne, daß nur 75 Prozent die einfache Frage nach der Dreieinigkeit Gottes richtig beantworteten. Auch einige moralische Ansichten wurden besorgniserregend befunden. So die Tatsache, daß acht Prozent den Ehebruch nicht für besonders verdammenswert und 22 Prozent die Ehescheidung unter gewissen Umständen für gerechtfertigt halten.

Die als sehr positiv geschätzte Umfrage gilt, wie das Beispiel der Industriestadt Plock, dem Sitz der größten polnischen Raffinerie, wo sowjetisches Erdöl verarbeitet wird, zeigt, nicht nur für die Landbevölkerung. So haben sich in Plock 82,4 Prozent der Befragten, unter denen die Mehrzahl Arbeiter waren, als gläubig oder tiefgläubig bekannt und nur 7,5 Prozent gaben an, religiös gleichgültig zu sein. Auf Grund der Umfrage in Plock hat die katholische Monatszeitschrift „Wiez“ die Auffassung vertreten, daß in den Städten zwischen 20.000 und 100.000 Einwohnern sich die Zahl der Glaubenden um 76,4 Prozent bewegen müsse, wobei die Anzahl der Nichtglauben-den auf 2,4 Prozent zusammenschrumpfe.

Auch über die Zahl und die Größe der polnischen katholischen Pfarrgemeinden geben die neuesten wissenschaftlichen Arbeiten Auskunft. Die beste Quelle ist der „Atlas des Christentums in Polen“, der vom Institut für historische Geographie der Kirche an der katholischen Universität in Lublin herausgegeben wurde. Die Übersicht gilt für das Jahr 1970 und darum berücksichtigt sie nicht die Reform der Kirchenverwaltung in den Oder-Neiße-Gebieten und die Neubildung der Diözesen in Westpommern im Jahre 1972. Nach den Angaben des Atlasses verfügt die katholische Kirche in Polen im Jahre 1970 über 25 Einheiten, die faktisch die Funktion der Diözesen ausüben. Diesen Einheiten waren 631 Dekanate und 6469 Gemeinden mit einer Durchschnittsgröße von 48,4 Quadratkilometern untergeordnet. In den acht Diözesen, die im 18. Jahrhundert in den ethnischen Gebieten Polens lagen, betrug die Durchschnittsgröße einer Gemeinde, etwa 56 Quadratilometer. Die größte Diözese ist die von Gorzow/ Landsberg, die 44.800 Quadratkilometer umfaßt, die kleinste in Lubac-zow hat nur 1600 Quadratkilometer. Von den Städten hat die größte Zahl der katholischen Gemeinden Warschau (67), gefolgt von Wroclaw/ Breslau mit 50 Gemeinden. Der größte Anteil von städtischen Kirchengemeinden entfällt aber auf die Diözesen von Kattowiltz und Gdansk/ Danzig.

Der umfangreichste wissenschaftliche Beitrag der katholischen Forscher wird ohne Zweifel die „Katholische Enzyklopädie“ werden. Der erste der insgesamt zwölf geplanten Bände wird noch in diesem Jahr erscheinen, der letzte ist für 1993 geplant. Die polnischen katholischen Wissenschaftler haben hier ein ähnliches Werk im Auge, wie es der in den Jahren 1957 bis 1964 im Herder-Verlag erschienene „Lexikon für Theologie und Kirche“ oder die in den Jahren 1948 bis 1976 vorbereitete französische Enzyklopädie „Catholi-cisme“ war. An der Herausgabe arbeiten in Lublin 45 wissenschaftliche Fachleute, die mit der Hilfe von rund weiteren 700 Spezialisten im In- und Ausland rechnen. Zu den größten Schwierigkeiten ist aber gerade die Zusammenarbeit mit diesen Autoren geworden. Denn die Hauptursache, warum die rund 12.000 Exemplare des ersten Bandes der polnischen „Katholischen Enzyklopädie“ erst fünf Jahre nach dem an ihm die Arbeit begonnen hat, den Lesern und Interessenten vorgelegt werden kann, ist die Säumdgkeit der Autoren oder ihre ungenügende Arbeit. So konnte man in der Zeitschrift „Wiez“ die kritischen Worte lesen, daß die Mitarbeiter der Enzyklopädie ihre Beiträge oft ein Jahr später als vereinbart der Redaktion zuschicken, andere Manuskripte sind wieder so oberflächlich geschrieben, daß man sie umarbeiten muß. Aber trotzdem ist „Wiez“ zuversichtlich. Denn Polen wird — als einziges Land in Osteuropa — eine wissenschaftlich fundierte katholische Enzyklopädie haben.

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