Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Entscheidend ist die Aufrüstung der Familie
„Trotz oder gerade wegen gelungener Lösungen im Bereich der Sozialpolitik wurden neue Erscheinungsformen sozialer Disproportionen sichtbar“, erklärte Univ.-Prof. Dr. Anton Burghardt, geschäftsführender Obmann des auf sozial-reformerischem Gebiet immer wieder führenden Dr. Karl-Kummer-Institutes, auf der Katholisch-Sozialen Tagung 1978, die sich mit der „Neuen Sozialen Frage“ beschäftigte. Man konnte von der in Wien abgehaltenen Tagung den Eindruck mit nach Hause nehmen, daß die anläßlich dieser Tagung und schon zuvor von der FURCHE aufgegriffenen Problemstellungen sicher in nächster Zeit für die konservative Sozialpolitik sozialistischen Zuschnitts einigen Sprengstoff in sich bergen.
In den zahlreichen profunden Diskussionsbeiträgen kehrten zwei Gedanken immer wieder:
■ Die traditionelle Sozialpolitik („alte soziale Frage“) baut auf dem Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit auf. Zur Bewältigung traditioneller Sozialpolitik sitzen Arbeitnehmer und Arbeitgeber seit Jahrzehnten an einem institutionalisierten runden Tisch. An ihm haben Pensionisten, kinderreiche Familien, Behinderte, schwangere Frauen, Gastarbeiter und sonstige Minderheiten in organisierter Form keinen Platz. Fazit: Sie werden auch nicht beteilt.
■ Die traditionelle Sozialpolitik glaubt, mit Geld alles ordnen zu kön-
nen: Arbeitsplätze und einzelne Arbeitnehmer werden subventioniert, wer nicht arbeitet oder wenig verdient, kriegt vom Staat etwas auf die Hand, auf der Basis gegenseitiger Solidarität funktionierende Kassen übernehmen Risken des Einzelnen ins Kollektiv. Resultat: Dem Einzelnen wird jede Initiative genommen, er verliert die Freude, selbst soziales Engagement zu entfalten.
Der Irrtum der Sozialisten beruht darauf, daß sie meist nur die materielle Armut kennen und zu ihrer Beseitigung für eine lineare Fortschreibung der praktizierten Sozialpolitik eintreten. Anton Burghardt spricht von einem „mehrdimensionalen Wohlfahrtsbegriff '. Für die Erstellung eines Wohlfahrtsindex bedürfe es „einer Vielzahl sozialer, kultureller und monetärer Indikatoren.“
Univ.-Prof. Dr. Erich Bodzenta, der als Soziologe zur Neuen Sozialen Frage sprach, widerlegte das. immer «och kursierendeMißverständnis, Sozialpolitik sei eine Sache, die Arbeiter angehe: „Arbeiter, Angestellte und Selbständige sind keinesfalls mehr übereinander zu denkende Einkommensschichten, sondern in der Masse handelt es sich um parallele Berufsfunktionen, die alle drei in sich geschichtet sind.“ Als Beitrag zur Lösung der Neuen Sozialen Frage forderte Bodzenta einen „Sozialbeirat“ von Experten und Politikern, der über potentielle Armutsbereiche jährliche Trendbe-
richte erstellten sollte. Eine gute Idee. Aber, wird damit nicht wieder entgegen dem Subsidiaritätsprinzi'p der einzelne vom Denken dispensiert?
Der aus Freising kommende Theologe Dr. Walter Friedberger, der übrigens mit brillianter Rhethorik begeisterte, analysierte die Armut aus der Sicht der christlichen Heilsgeschichte und der Kath. Soziallehre: Alle Menschen sind gleich in ihrer Würde, aber ungleich von Natur aus, formulierte er mit Thomas von Aquin. Nach dem neuesten Stand der christlichen Lehre gehe es um das Ausgleichen der krassen Unterschiede, wobei der Freiheit dominierende Stellung zukomme: „Wer Gleichheit sagt, muß immer fragen: Wie führt sie zur Freiheit?“ Zur Überwindung der krassen Ungleichheiten zählt Friedberger auf Wettbewerb und Solidarität, Staatsintervention unter Bedachtnahme auf das Sub-sidiaritätsprinzip sowie insbesondere die Familie: „Das Entscheidende in der Uberwindung der Armut ist die Aufrüstung der Famüie!“
An der Tagung, die vom Kummer-Institut, der Kath. Arbeitnehmerbewegung, der Wiener Katholischen Akademie, der Kath. Männerbewegung, der Vereinigung Christlicher Unternehmer und der FCG veranstaltet wurde, nahmen auch Kardinal König, Univ.-Prof. Dr. Johannes Messner, ÖVP-Obmann Dr. Josef Taus, Klubobmann Dr. Alois Mock und FCG-Chef Hans Gassner teil.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!