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Ettl und der Fleischmarkt

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Die Provokation ist kalkuliert und gezielt: Gesundheitsminister Ha- rald Ettl wird binnen Monatsfrist mit Ausnahmeregelung zum Arz- neimittelgesetz dem Drängen einer Wiener Klinik nachgeben, die Ab- treibungspille RU 486 (FURCHE 16/1990) einzuführen. Vorerst (noch) zeitlich wie mengenmäßig befristet.

Und es ist nicht irgendeine Kli- nik, mit der Ettl den Coup einge- fädelt hat: Es ist das sogenannte

Ambulatorium für Schwangeren- hilfe in der Wiener Innenstadt am Fleischmarkt. Sogenannt deshalb, weil dort das Geschäft mit Abtrei- bungen am Fließband (FURCHE 38 und 44/1979) blüht.

Womit - entgegen den naiven Wortmeldungen der vorangegan- genen Diskussion - auch der in Osterreich angestrebte Hauptver- wendungszweck des Präparates RU 486 klar ist.

Schon die Zuordnung des Präpa- rates als „Arzneimittel" zur Ab- treibung ist blanker Hohn. Arznei- mittel sind nämlich „nach der all- gemeinen Verkehrsauffassung" (Arzneimittelgesetz 1983) vorran- gig dazu bestimmt, bei Anwendung am oder im menschlichen Körper „Krankheiten, Leiden, Körperschä- den oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen". Eine Schwan- gerschaft ist keinem dieser Krite- rien zuzuordnen. Und der lebens- verachtende Zynismus, die Abtrei- bungspille jenen Arzneimitteln zuzurechnen, die bestimmt sind, „Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen", sollte erst gar keinem unterstellt werden.

Die Geschäftemacher mit der Abtreibung reiben sich die Hände. Ettl wähnt sich als starker Mann, hat jetzt wenigstens die SPÖ-Frau- en mit der Forderung hinter sich, daß das Gesundheitsressort bei einer Neuaufteilung der Verantwor- tungsbereiche nach den Wahlen in sozialistischen Händen bleiben muß.

Es riecht nach abgekartetem Spiel, was hier hinter dem Ne- belvorhang einer öffentlichen Dis- kussion inszeniert worden ist. Ei- nige Drahtzieher, viele Statisten.

Tatsache ist, daß es heute schon genügt, den Bericht des Justiz- ausschusses zum Strafgesetzbuch zu zitieren, um eine Abtreibungs- diskussion auszulösen: „Es ist un- bestritten, daß der Schwanger- schaftsabbruch weder eine gesell- schaftlich wünschenswerte noch eine medizinisch empfehlenswerte Methode der Geburtskontrolle ist."

Das genügt etwa Frauen-Staats- sekretärin Johanna Dohnal bereits,

den Frauen mit der Chimäre des herannahenden Kerkermeisters Angst zu machen. Und prompt wird jede Diskussion über kläglich ge- scheiterte politische Positivmaß- nahmen damit abzublocken ver- sucht.

Nein, in diesem Punkt darf Doh- nal nicht einmal behaupten, im Sinne Bruno Kreiskys zu handeln, der der Politik die Latte hoch ge- legt hat: „Man muß alles tun, um im Bereich der Politik diesen ganzen Paragraphen so obsolet zu machen, wie dies mit den Mitteln der Poli- tik, der Psychologie und der Moral nur geht, um die Frau zu veranlas- sen, daß sie dann, wenn sie empfan- gen hat, das Kind behält."

Ein Gynäkologe wie Sepp Leo- dolter, ein praktischer Arzt wie Erwin K. Rasinger, ÖVP-Gesund- heitssprecher und SPÖ-Wahlhelf er in einer Person, spielen das gesell- schaftliche Problem herab. „Wis- senschaftlich" argumentiert die Soziologin Beate Wimmer-Puchin- ger je nachdem: Einmal bedauert sie, daß ohne Abtreibungsstatistik die Erfolgskontrolle von Aufklä- rungsmaßnahmen fehlt, dann wie- der argumentiert sie vehement dagegen, warnt vor Horrorszena- rien.

„Die Größenordnungen, die dem Problem Schwangerschaftsab- bruch zugrunde liegen, suchen sowohl Befürworter wie Gegner nach Kräften zu verniedlichen. Sie glauben dies am effektvollsten zu tun, indem sie unerwünscht hoch anzusetzende .Dunkelziffern* ömi- nöserweise als .Horrorziffern' ab- tun", hat Alfred Rockenschaub, einerder ärztlichen Wegbereiter der Fristenregelung, erst in der Juni- Ausgabe der „Zukunft" dargelegt, und dazu angemerkt, daß beide Seiten „aber tunlichst die niedriger geschätzten Zahlen" bevorzugen.

Weiter schreibt er: „Von allen Seiten, auch von sozialistischer, wurde stets verlautet, daß der Abortus keine Methode der Ge- burtenregelung wäre. Was sonst?" Und Rockenschaub belegt seine Einschätzung - anders als Leodol- ter, Rasinger oder Wimmer-Puchin- ger - auch: Eine verläßliche Schwangerschaftsverhütung sei nur bei 50 Prozent der Österreiche- rinnen gegeben. „Die andere Hälfte betreibt keine Kontrazeption, sei es bewußt, sei es aus Gleichgültig- keit oder Unbeholfenheit. Schwan- gerschaften, die daraus resultieren, werden zur einen Hälfte ausgetra- gen, zur anderen abgebrochen."

Um diese Realität und um sonst nichts geht es. Keine gesellschaft- lich relevante Kraft in Österreich will heute die Wiedereinführung von Straf Sanktionen gegen Frauen. Aber durchaus relevante Kräfte verweigern ihren politischen Bei- trag, „diesen ganzen Paragraphen obsolet zu machen" (Kreisky). Daraus macht man am Fleisch- markt ein Geschäft.

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