Wenn ich einmal reich wär’
„Für jeden Reichtum bezahlt wer anderer, wer hätte meinen Reichtum bezahlt?“ Ein Gedankenspiel von Lydia Mischkulnig.
„Für jeden Reichtum bezahlt wer anderer, wer hätte meinen Reichtum bezahlt?“ Ein Gedankenspiel von Lydia Mischkulnig.
Vor kurzem forderte eine Philantropin öffentlich ein, ihr beträchtliches Vermögen doch bitte zu besteuern. Wenn ich einmal reich wäre, also richtig reich, dass ich das Geld nicht zählen könnte, kämen alle Menschen unter meinen Schutzschirm. Ich spannte ihn gegen böse Strahlen aller Art auf. Die Sonne würde niemanden mehr versengen, die AKWs strahlten anders, das Öl bräuchte keiner mehr, weil ganz viel Informatik, Mathematik, Physik und ganz viel Lebensstil ohne Fleisch und Milchprodukte einen Planeten zum Paradies planierten. Ich könnte ein Essverbot erteilen, in die Ernährungsindustrie investieren, in die Wasserwirtschaft, in die Bewusstseinsindustrie, in die Bildung. Es gibt keine Paradiesvorstellung ohne dieses Programm. Eine Empfehlung aus Gesetzen und Verboten. Gott bildete die Menschen schließlich auch nicht nur aus Lehm. Auch er hatte ihnen ein Essverbot erteilt. Sie gehorchten nicht, waren nicht gelehrig genug. Dafür wurden sie drakonisch bestraft, vertrieben aus ihrem Heil. Als Philantropin sollte ich mit den Menschen halten, ihre Mängel verstehen und ihnen das Licht der liebenden Vernunft bringen. Ich! Ja, ich! Eine Prometheusin! Ich würde mich fragen, woher ich diese Vermessenheit hätte. Woher stammte mein Reichtum? Gott gibt es nicht, und ich bin kein Übermensch! Für jeden Reichtum bezahlt wer anderer, wer hätte meinen Reichtum bezahlt? Wäre ich die Erbin von BASF, würde ich sagen, die Gefangenen von Bergen Belsen, Auschwitz, Sachsenhausen, Flüssenburg, die Ermordeten der Konzentrationslager, der Ausbeutung und Vernichtung sind heute noch mit Reichtum zu bescheren. Was machte ich mit diesem Erbe? Egal, wofür ich mich entscheiden würde, ich könnte die Verantwortung nicht abstreifen, selbst wenn ich sie über meine Steuerleistung an die Gesellschaft delegierte. Diese Verantwortung bleibt immer gleich, auch für mich, die ich das Geld nicht habe.
Die Autorin ist Schriftstellerin.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!
Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!
