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Fieber bei minus 50 Grad

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Mitternachtssonne und Eistundren des arktischen Nordens bilden das Bühnenbild des neuesten Ölrausches in Kanada und Alaska. Probebohrungen am North Slope lassen riesige Ölreserven unter dem . ewigen Eis des Nordens vermuten. Das bedeutet neue Quellen' lebensspendender Energie weitab von jenen Märkten, wo das öl notwendiger denn je gebraucht wird.

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Mitternachtssonne und Eistundren des arktischen Nordens bilden das Bühnenbild des neuesten Ölrausches in Kanada und Alaska. Probebohrungen am North Slope lassen riesige Ölreserven unter dem . ewigen Eis des Nordens vermuten. Das bedeutet neue Quellen' lebensspendender Energie weitab von jenen Märkten, wo das öl notwendiger denn je gebraucht wird.

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Endlose Eiswüste soweit das menschliche Auge blicken kann. Von Zeit zu Zeit zieht eine Herde grauer Rentiere über die leere Bühne des weißen Eises. Windböen mit einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern in der Stunde peitschen Eiskristalle in die Luft. Das Thermometer sinkt auf 55 Grad Cedsius unter Null. Nur hie und da wird die verschneite Wildnis von einem Bohrturm unterbrochen, der wie ein einsames Streichholz in die nie enden wollende Polarnacht ragt

Das ist der arktische Norden, die Szenerie des großen Ölrausches, der durch die bedeutenden Funde der letzten zwei Jahre in Kanada und Alaska ausgelöst wurde. Neues Leben regt sich unter der Eisdecke. Hinter den frostisolierten Fenstern der Holzbaracken hocken Wissenschaftler über Computerauswertungen und in einstmals verlassenen Eskimodörfem tummeln sich vermummte Abenteurer aus aller Welt.

Westlich der kanadischen Grenze, zwischen Brooks Range und dem arktischen Meer, zieht sich heute eine Kette von Bohrstationen über die Strecke von fast 1000 Kilometern. Schon in den zwanziger Jahren wurde der erste kommerziell auswertbare Ölfund im Mackenzie Basin gemacht. Aber erst im April 1968 erkannte man den großen Wert dieser Entdeckung. Zwei amerikanische ölkonzeme erzielten eine tägliche Förderrate von 2415 Barrels und lösten damit das große arktische öl- fleber aus.

Die Ölreserven des North Slope werden heute auf etwa 20 Milliarden Barrels geschätzt, eine enorme Menge, wenn man bedenkt, daß in der Geschichte der Mineralölindustrie erst 21 Felder entdeckt wurden, aus denen mehr als eine Milliarde Barrels gepumpt werden konnten.

Die Stadt Fairbanks ist das Sprungbrett nach dem Norden. Von sieben Flugpisten aus starten die riesigen Herkules-Transportflugzeuge zu ihrem 700-Kilometer-Flug zur

Prudhoe Bay. Tag und Nacht tönt Motorengeräusch, werden Maschinen mit Nachschub und technischem Gerät beladen und rollen überdimensionale Raupenschlepper in die offenen Bäuche der Luftgiganten.

Am anderen Ende der Reise längs der Küste des arktischen Meeres warten Kälte und Eis. Felsenharter Dauerfrost stellt höchste Anforderungen an Mensch und Maschine. Isolierende Unterwäsche, Filz-Gesichtsmasken und mehrere Lagen kälteabstoßender Außenkleidung schützen Arbeiter und Ingenieur an der Bohrstelle, die mit hölzernen Planken und Heißluftgebläse gegen die Minusgrade geschützt werden muß.

Für jeden gebohrten Meter am North Slope Alaskas müssen die Mineralölgesellschaften tiefer in ihre Taschen greifen als sonstwo in der Welt. Der Durchschnitt der Bohrkosten von 40 Dollar pro Meter wird hier belächelt. Im ewigen Eis betragen sie 425 Dollar. Ein einziges Bohrloch verzehrt pro Tag 18.000 Dollar, während im Süden der USA im Durchschnitt 3000 Dollar für eine tägliche Bohrung verwendet werden.

Die Arbeitslöhne stehen in ähnlichen Relationen. Auch Österreicher zieht es immer mehr in den unwirtlichen Norden. Der Stundenlohn für einen ungelernten Handwerker von 7,52 Dollar (188 Schilling) lockt wie ein schillernder Köder. Preis für diesen Traumverdienst sind Einsamkeit, Frost, Anstrengung.

Noch sind wirtschaftlicher und sozialer Umbruch dieses arktischen Ölrausches nicht abschätzbar. Die multinationalen ölkonzeme jedoch investieren weiter: Sie bauen Straßen, Landebahnen, Brücken und Erdölleitungen. Aber auch Washington blickt mit großer Hoffnung auf den 49., einst ungenützten Bundesstaat. Denn heute fließen schon mehr als 50 Millionen Dollar an Abgaben in den schrumpfenden Staatssäckel.

Die Holzschuppen der Pionierzeit sind längst verschwunden. Zeitgemäße Bürogebäude haben die Offices im Kolonialstil a'bgelöst, und hinter hellerleuchteten Schaufenstern werden Pelze, Modeartikel und kunstvolle Eskimo-Handarbeiten feilgeboten.

Den Mittelpunkt des kulturellwissenschaftlichen Lebens bildet die University von Alaska in Fairbanks — der Grenzstadt in einem Grenz- l'and, wie sie oft genannt wird. Unter den 2400 Studenten, die sich vor allem die großtechnische Nutzbarmachung der riesigen Nahrungsmittel- und Bodenschätzereserven des Landes zum Ziel gesetzt haben, befinden sich mehr als 20 Prozent Ureinwohner Alaskas: Eskimos, Indianer und Aleuten.

Binnen weniger Monate hat die Gewalt der Technik jehrhundertalte Attitüden dieser Menschen zusammenbrechen lassen. Die größte Eskimo-Ansiedlung Alaskas, Bar- row, zählt heute 2800 Einwohner, die sich bis vor kurzer Zeit ihren Lebensunterhalt mit dem Pelzhandel und der Walfängerei verdienten. Ihre tägliche Nahrung war reinste Diät: Fisch, Wal und Robben. Heute, ein paar Jahre nachdem die „wild cutters“ in ihre Wildnis vorgestoßen sind, erwärmen Gasturbinen des nahen Erdgasfeldes ihre Wohnungen. Abends brauchen die Eskimos von Barrow nicht mehr in Felle gehüllt ihre Holzpritsche aufzusuchen. Man hat zwei Kinos gebaut, zwei Hotels, ein Spital, eine Grundschule und eine Reihe von Geschäften und Werkstätten, in denen die Nachfahren der Hundeschlittengespanne geboren werden: die Snowmobiles.

Noch wird es Jahre dauern, bis das erste öl vom North Slope die amerikanischen Haushalte erreichen wird. Projekte gigantischer Erdöl- und Erdgaspipelines kämpfen noch mit Problemen des Dauerfrosts. Man versuchte mit Eisbrecher-Tankem das Packeis der Nordwestpassage zu duirchpflfigen, und auf den Reißbrettern der Konstrukteure existieren bereits U-Boot-Tanker, die 250.000 Tonnen Rohöl und mehr unter der geschlossenen Eisdecke zu den Absatzmärkten bringen sollen.

Obwohl die Arktis das jüngste Kind der Erdölindustrie ist, wird es nicht das letzte sein. Die Suche nach neuen Quellen geht weiter, Tag und Nacht, auf dem Land und zu Wasser. Es ist eine endlose Suche nach neuem Leben für neues Leben.

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