Australiens bizzare Wildnis

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Paul's Place, ein freundlicher Ort," hatte der Kangaroo-Island-Touristenprospekt versprochen. Meine Frau aber fand die Späße des ehemaligen Schafscherers derb und geschmacklos, auch wenn sich die Einheimischen darüber köstlich amüsierten. Zuerst streute er, um seinen Emus ein Festmahl zu bereiten, Getreide auf den kahlen Kopf eines Besuchers, dann schob er die Hand einer ahnungslosen Frau in ein schleimiges Kalbsmaul.

Anstatt auf den Grobian zu achten, beschäftigte sich Anastazja, meine bessere Hälfte, lieber mit Pauls Kängurus. Die Tiere, die uns umdrängten, wetteiferten um das Privileg, unsere Hände zu lecken. Ein Weibchen gewährte uns sogar Einblick in ihren Beutel, wo ihr nackter, bohnengroßer Nachkömmling an einer Zitze saugte. Kängurus werden in einem sehr frühen Entwicklungsstadium geboren. Auch wenn sie nur wie hilflose Embryonen wirken, müssen sie den langen Weg durch das mütterliche Fell zum Beutel ganz allein bewältigen.

Diesen beschwerlichen Prozess machen viele australische Tierarten durch. Der Rote Kontinent trennte sich nämlich von der übrigen Landmasse der Welt, bevor die Gruppe der Säugetiere, die in der Schwangerschaft einen Mutterkuchen entwickeln, entstanden war. Das erklärt, warum seine Fauna so einzigartig ist.

Die großen Kängurus, die Grasfresser Australiens, sind in ihrer Lebensweise durchaus mit den Antilopen der afrikanischen Savanne oder den Büffeln der nordamerikanischen Prärie zu vergleichen. Ihre Sprungfähigkeit ermöglicht ihnen eine energiesparende Form der Fortbewegung.

Im Naturreservat Tidbinbilla bei Canberra machten wir Bekanntschaft mit Großen Roten Kängurus.Obwohl an Menschen gewohnt, achten diese freilebenden Tiere dennoch auf eine gewisse Fluchtdistanz. Uns fiel eine Touristengruppe auf, die sie rücksichtslos bedrängten. Sie wollten unbedingt Schnappschüsse von Familienmitgliedern gemeinsam mit den possierlichen Tieren zustande bringen. Das war allerdings ein Fehler, der verhängnisvoll hätte sein können. "Wenn dir ein gereizter Springer nur das Hemd mit seinen scharfen Krallen zerschneidet," meinen die Einheimischen, "zähle dich glücklich. Genauso gut hätte er dir den Bauch aufschlitzen können."

Die Koalas, denen wir in Tidbinbillas Eukalyptuswäldern nachspürten, wirken wie lebendige Plüschtiere. Wo sie sich gerade aufhalten, zeigt ein Plan am Anfang des Weges. Nachdem wir die richtige Stelle ausgemacht hatten, suchten wir mit einem Fernglas den Kronenbereich ab und erspähten schließlich eine graue Pelzkugel. Ganz hoch droben hing sie, als plötzlich aus ihr ein Kopf mit rundlichen Ohren und Augen wie Glasperlen auftauchte.

Gebannt beobachteten wir den Koala, der sich immer mehr zu regen begann. Er bewegte sich sogar ein paar Zentimeter, um sich an einigen Blättern gütlich zu tun. Nach dieser "gewaltigen" Anstrengung nickte er aber doch wieder ein, womit das Spektakel schon wieder seinen Abschluss fand. Unternehmungsgeist hat der nachtaktive Beutelbär auch kaum kaum nötig, lebt er doch wie im Schlaraffenland. Einmal die Pfote kurz ausgestreckt und schon ist der Tisch gedeckt! Sollte sich aber ein Rivale für die Weibchen in seinem Revier interessieren, verwandelt sich seine geruhsame Beschaulichkeit sofort in heftige Wut.

Erst in der Dämmerung erwacht das Zuckereichhorn aus seinem Schlaf. Die Naturführer im Grampians National Park nördlich von Melbourne kennen seine Gewohnheiten genau; mit Lampen ausgestattet brachten sie uns rechtzeitig zum Beobachtungspunkt. Nachdem die Dunkelheit völlig hereingebrochen war, guckte der Kopf eines Gleitbeutlers, der einem Eichhörnchen ähnelt, aus einem Baumloch. Kurz entschlossen stürzte der kleine Kerl heraus, wobei er die Häute zwischen Vorder- und Hinterbeinen spannte. Bereits einige Augenblicke später landete der tollkühne Akrobat auf allen Vieren auf dem Stamm eines zehn Meter entfernten Baumes. Zusammen mit Insekten bilden die Säfte der Holzgewächse seine Nahrung; auf der Suche danach pendelt er auf dem Luftweg schnell und sicher zwischen seinen Futterstellen.

Auf Phillip Island bei Melbourne wird die nächtliche Rückkehr der Zwergpinguine wie ein Fußball-Großereignis gefeiert. Es war bereits dunkel, als wir ankamen. Hunderte zahlende Zuschauer hatten bereits Platz auf der Tribüne genommen, während Flutlichter den Strand beleuchteten. Da erschien auch schon unsere vielumjubelte "Mannschaft" auf den Wellen.

Die ersten der 40 Zentimeter großen Pinguine kehrten in die Flut zurück. Schließlich aber nahmen doch einige mutige "Spieler" die Herausforderung an. Eine watschelnde Zehnergruppe bewältigte rasch die gefährliche freie Sandfläche, wo sie oft ihren Feinden hilflos ausgeliefert sind. Zu diesen Widersachern zählen räuberische Möwen, die sie aus der Luft attackieren und damit zwingen, ihre vorverdauten Fische herauszuwürgen. Nachdem sie die schützenden Sträucher der Dünen erreicht hatten, war allerdings das Schlimmste überstanden. Vor den Erdlöchern warteten ihre hungrigen Küken bereits ungeduldig auf sie, besonders jedoch auf den köstlichen Mageninhalt der Eltern. Jämmerlich piepste und bettelte der Nachwuchs, auch wenn er schon so groß wie die Elterngeneration war und sich von ihr äußerlich kaum unterscheiden ließ.

Läppische 2.000 Kilometer trennen die Küste vom glühenden Herzen des Kontinents. Wir teilten die Straße durch die endlose rote Wüste mit einigen 50 Meter langen "Brummern". Nur weiße Salzkrusten markierten die Flächen, wo sich einst Seen befunden hatten. Auf halber Strecke erreichten wir den Ort Coober Pedy, was in der Sprache der Eingeborenen "weißer Mann im Loch" bedeutet. Die dunkelhäutigen Ureinwohner schütteln nur verständnislos den Kopf über den Eifer der Einwanderer, die hier nach Opalen graben und teilweise unterirdisch wohnen.

Von Einsamkeit kann in dieser Gegend wirklich keine Rede sein, denn immerhin taucht alle 100 bis 200 Kilometer eine Tankstelle auf. Bei einer begegneten wir einem ständigen Besucher - einem Brogla-Kranich, der gerade mit seinem Erzrivalen ein Schnabelgefecht austrug. Der Gegner, den die Metallfläche einer Zapfsäule widerspiegelte, ließ sich einfach nicht vertreiben.

Auf unserer Weiterreise trottete ein Dingo gemächlich über die Straße, um sich in der Endlosigkeit der Einöde zu verlieren. Diese Wildhunde, die zu den "fortschrittlichen" Säugetieren zählen, wurden vermutlich vor Jahrtausenden von eingeborenen Seefahrern in Australien eingeführt. Um ihre Herden vor diesen Räubern zu schützen, haben Schafhirten in Südaustralien einen 6.000 Kilometer langen Zaun errichtet.

Als wir den Uluru (Ayers Rock) Nationalpark erreichten, breiteten sich blaue und weiße Teppiche vor uns aus, denn ein Regenguss hatte die in der Erde schlummernden Blumensamen im Nu zum Leben erweckt. Der Aufwand war eigentlich überflüssig, diese intensivrote Erde hatte eigentlich keinen dekorativen Farbenschmuck nötig. Der bunten Bodenbedeckung folgend, gelangten wir dann in das "Tal der Winde" (Olgas-Felsmassiv), wo mütterlich-rundliche Gesteinsmassen uns beidseitig umsäumten. Ihre orangene Farbe passte zu der infernalischen Hitze; die Temperatur steuerte auf 40° Celsius zu. Immerhin profitierte die Tierwelt von unserer Tortur, denn Schwärme kleiner schwarzer Fliegen labten sich an unseren Schweißströmen.

Plötzlich kam uns die Idee einer alternativen Form des Naturerlebens, die wir unverzüglich in die Tat umsetzten. Eine dreieinhalbtägige Autofahrt brachte uns nach Sydney, wo wir sofort ein nobles Kaffeehaus aufsuchten. Mit eisgekühlten Getränken ließen wir uns verwöhnen, während Weiße Ibisse nebenan im Hafenbereich die Abfalleimer nach Essbarem durchstöberten, farbenprächtige Papageien in den Bäumen krächzten und Gelbhaubenkakadus vor dem Fenster stolzierten.

Faulenzen und gleichzeitig beobachten - großartig! Es ist einfach wunderbar, diese so exotische Tierwelt direkt im Schatten der Wolkenkratzer einer Vier-Millionen-Stadt zu genießen.

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