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Fontanes Frauengestalten

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Sie sind heute alle nicht mehr — die ^iergartenvillen, deren eine dem Koramerzialrat Ezechiel van der Straaten, dem Gatten der „L'Adultera“, gehörte; das gediegene Heim der „Cecile“ in der Lennestraße, die unvergeßliche Wohnung der „Poggenpuhls“ in der Großgörschenstraße, die vornehmen Adels- und Großbürgerhäuser am Kurfürstendamm, die billigen Zinswohnungen der Kleinbürger im Norden Berlins, in der Invaliden- und Chausseestraße, die gepflegten und blitzsauberen Wohnküchen und bescheidenen Kammern, in denen eine Witwe Pitclkow, eine Lene Nimptsch hauste, in denen das tragische Schicksal der „Stine“ von neugierigen Portiersfrauen und klatschsüchtigen Hintertreppenweibern zerredet wurde — das alles gibt es heute nicht mehr.

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Sie sind heute alle nicht mehr — die ^iergartenvillen, deren eine dem Koramerzialrat Ezechiel van der Straaten, dem Gatten der „L'Adultera“, gehörte; das gediegene Heim der „Cecile“ in der Lennestraße, die unvergeßliche Wohnung der „Poggenpuhls“ in der Großgörschenstraße, die vornehmen Adels- und Großbürgerhäuser am Kurfürstendamm, die billigen Zinswohnungen der Kleinbürger im Norden Berlins, in der Invaliden- und Chausseestraße, die gepflegten und blitzsauberen Wohnküchen und bescheidenen Kammern, in denen eine Witwe Pitclkow, eine Lene Nimptsch hauste, in denen das tragische Schicksal der „Stine“ von neugierigen Portiersfrauen und klatschsüchtigen Hintertreppenweibern zerredet wurde — das alles gibt es heute nicht mehr.

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Die Verwandlung, die sich hier vollzog, wenn wir heute die zweigeteilte Stadt betrachten und nicht einen Hauch mehr von der anheimelnden Welt Fontanes finden, diese Verwandlung erscheint uns unfaßbarer als jede Veränderung, die sich bisher in der Geschichte vollzog, noch nie wurde uns in derartiger Drastik und mitleidloser Plötzlichkeit, grausamer Unerbittlichkeit das Ende einer Kulturperiode vor Augen geführt. Die so liebevoll abgeschilderte Welt Fontanes, deren Menschen — vor allem die Frauen — auch heute noch aus seinen Romanen wie lebendige Wesen hervortraten, besteht nicht mehr. Aber gerade weil hier wie noch nie so restlos eine Welt vernichtet wurde, drängt es uns um so stärker, nach dem Sinn zu fragen, der in ihrer Zerstörung lag, zwingt sich uns um so mehr die Vermutung auf, daß es einen solchen Sinn geben müsse.

Die Antwort gibt uns Theodor Fontane. Denn diese Welt des Berliner Bürgertums war eben im Begriff, in Trümmer zu sinken, als er sie erlebte und sie zu schildern unternahm. Vor der Hellsichtigkeit seines Dichterblicks lagen die Nerven und Adern dieser Welt bloß, er sah ihre hippokratischen Züge, er ging ans Werk, um — wie er sich ausdrückt — als Psychograph ihre Krankengeschichte zu schreiben. Er wußte, daß diese Welt an einer Todeskrankheit litt, er suchte die Gründe darzulegen, die zu ihrem Absinken führten. Darin liegt nicht allein das Geheimnis ihrer Wirkung auf uns. Was uns an ihr packt, sind ihre Menschen.

Es ist die Eigenschaft alles unvergänglichen Dichtertums, immer wieder die echten Züge menschlichen Seins zur Darstellung zu bringen. Gerade in Verfallszeiten mit ihrer wachsenden Verlogenheit des gesellschaftlichen Formalismus zuungunsten seelischer, sittlicher Werte konfrontiert der Dichter den echten, den wahrhaften Menschen mit der ihn umgebenden Scheinwelt. Hier distanziert er sich von seiner Zeit, die niemals ganz die seine sein darf, will er nicht in ihr versinken, sein Künstlertum aufgeben.

Theodor Fontane hat die Fähigkeit zur Distanz. Er wird darum zu einem Zeitkritiker wie kein zweiter in dieser schwülen Untergangsstimmung des jungen und scheinbar so hoffnungsvollen Bismarckreiches, einer Untergangsstimmung, die Nietzsche in seinen Essays „Unzeitgemäße Betrachtungen“ intensiv spürbar macht. Hier liegt das Geheimnis seiner Wirkung auf seine Zeit, eine Zeit, die sich selbst krank fühlte und krank erkannte — der Begriff des Fin de siecle ist ihr eigenstes und oft mit einer gewissen Gefälligkeit vorgebrachtes Bekenntnis.

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Fontane steht über dieser Zeit. Vor dem prüfenden und richtenden Auge des Dichters vermag nur das Echte zu bestehen. Der Prüfstein für die Echtheit in dieser unechten, verlogenen Bürgerwelt ist die elementarste aller menschlichen Empfindungen, die Liebe. Von ihr gilt, daß sie, wie die Wahrheit sich endlich immer gegen die Lüge durchsetzt, notwendigerweise die Schranken der gemachten und phrasenhaften Bürgermoral durchbrechen muß. „Ich könnte“ — so schreibt Fontane einmal über die Liebe — „ein hohes Lied schreiben über die Erhaben-

heit, die Herrlichkeit, die Wonne, die Wunderkraft der Liebe, und zwar nicht Phrasen, die ich hasse, sondern Empfundenes. Aber freilich, was sich da so gemeinhin Liebe nennt, diese ganze Reihe niedrigstehender, beleidigender, zugleich mit wuchtige ster Prätension auftretender Bourgeoisempfindungen (und dieses Bourgeoistum ragt in alle Stände hinein), für diese Sorte Liebe hab' ich nur Spott und Verachtung. Ich liebe Liebe, aber ich gucke sie mir an und prüfe sie auf ihre Echtheit.“

Wo ließe sich dieser Vorgang besser zeigen als am Beispiel seiner Frauengestalten! Gerade in den Lebenspassionen seiner „Effi Briest“, seiner „Cecile“, seiner „Stine“ und anderer sind ihm echte, wahre Menschen gelungen, so lebendig, wie wenn sie heute unter uns wandeln würden, während seine Männerwelt mehr und mehr dem bürgerlichen Schein und Formalismus, der konventionellen Lüge der Gesellschaft erliegt. Das Gesetz, in dessen Zeichen Fontanes Frauen ihr Leben vollenden, ist das der Wahrhaftigkeit. Wahrhaft und echt sind sie darum auch in ihrer Liebe. Es ist immer dasselbe Thema, das Fontane mit der Kunst stets neuer Beleuchtungen abwandelt, so daß er nie ermüdend wirkt: der Bruch mit der Konvention, mit der heuchlerischen Firnis-Schicht der sogenannten Gesellschaft, um der Wahrheit der Liebe willen.

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Die österreichische Dichterin Marie von Ebner-Eschenbach, in deren gesellschaftlichem Werk man sehr viele Parallelen zu Fontane entdek-ken kann, sagt einmal in einem Aphorismus: „Vollkommene Liebe ist vollkommene Wiedergeburt.“

Dann fugt sie m emem zweiten, skeptischen Aphorismus hinzu: „Liesen willst du? Lerne leiden und verleihen.“ Verzeihen aber kann diese Welt, für die die Lüge um der Konvention willen und die Konvention um der Lüge willen da ist, nicht mehr. Dazu bringt sie die Wahrhaftigkeit nicht auf. In dieser Welt der Larven wird nichts vergeben, am wenigsten die Menschlichkeit.

So bleibt den Frauen Fontanes nur das Leiden. Es ist letzten Endes ein radueller Unterschied, eine Temperierung des tragischen Tones in diesem oder jenem von Fontanes Romanen, wenn sie an diesem Leiden zugrunde gehen oder in ihm resignieren. Seine „Cecile“, von der „man' sich ins Ohr flüstert, daß sie „eine Geschichte“ hat und von der „man“ in der dumpfen Luft des Salons erzählt, „die Vergangenheit wirft ihre Schatten“, kann die Diffamierung nicht ertragen und gibt sich den Tod. Effi Briest, die Ehebrecherin um der Wahrhaftigkeit ihrer Liebe willen, wird durch das Kesseltreiben der Gesellschaft ums Leben gebracht. Das Dienstmädchen Stine resigniert, als sie sehen muß, daß die Realisierung ihrer wahrhaftigen Liebesgefühle einen ungeheuren Familienskandal heraufbeschwören würde.

Der Weg dieser Frauen führt in die Dunkelheit des Verzichtes, der Vernichtung, weil sie das trügerische und heuchlerische Licht der sogenannten guten Gesellschaft nicht ertragen konnten. In einem Liebesbrief des Major Crampas, mit dem Effi Briest die Ehe bricht, heißt es: „Wir haben auch ein Recht,. Das Leben wäre nicht lebenswert, wenn das alles gelten sollte, was zufällig gilt. Alles Beste liegt jenseits davon. Lerne dich daran freuen.“ Das heißt licht mehr und nicht weniger, als daß die Seibatverwirklichung der Frau in dieser Bourgeoiswelt nicht rriöglich ist. Fontanes Frauen haben den Drang in sich, echt, wahr und menschlich zu sein, aber sie geraten mit diesem Drang in einen luftleeren Raum. Die innere Selbstgewißheit ihres Daseins sagt ihnen, daß das, „was zufällig gilt“, jene heuchlerische und verlogene Gesellschafts-kultur ihrer Tage, deren Talmi-lanz und Modergeruch heute deutlicher denn je ist, keine Berechtigung mehr hat, zu gelten.

Auf Fontanes Frauengestalten ist gemünzt, was der Dichter einmal in einem Brief an seine Tochter niederschrieb: „Der Sieg des Natürlichen erfüllt mich immer mit Behagen. Das bloß Verstandesgemäße, das Berechnete, das Konventionelle wiederstreitet meiner Natur...“ Es ist die Tragik der Gestalten Fontanes, daß sie sich im Kampf um die Bewahrung ihrer Natur inmitten der Unnatur verbluten. Eine andere Lösung durfte sich der Skeptiker Fontane nicht erlauben. Der Kampf, den er in seinen Heldinnen ausficht, ist schon ein Kampf ohne Glauben an

Theodor Fontane nach einer Aufnahme von Bieber aus dem Jahr 1858

Archiv der Nymphenburger Verlagsanstalt, München

eine bessere Welt, ohne Glauben an eine moralische Weltregierung, aber er ist zugleich die Vorahnung des Untergangs der bürgerlichen Welt, wie sie sich ihm darstellt.

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Die von der Frauenemanzipationsbewegung um die Jahrhundertwende mächtig geförderte Entwicklung eines Frauenideals der inneren Freiheit und Natürlichkeit, zu der sich nach außen hin noch die Forderung nach Gleichberechtigung und der Entwicklung selbständiger Frauenberufe gesellte, sie konnte nur von einem Frauenbild der inneren Natürlichkeit her entwickelt werden, das Fontane sah. und,, gestaltete, Ple Befreiung der Frau durch die Emanzipation, die schließlich zur Zerschlagung aller bourgeoisen Gesellschaftsnormen führte, ist in seiner dichterischen Welt vorbereitet.

Damit hat sich Fontane weit über „das herkömmliche Romanblech“, wie er selbst einmal sagt, erhoben. Das gilt für seine und unsere Zeit. Die wahren und echten Dichter, die sich von der Masse der Schriftsteller abheben, sind zu jeder Zeit unbequem. Sie sind nichts für den Unterhaltungsleser, sie apportieren ihm keine glatten und photogenen Klischeeheklen und -heldinnen, die sich auf ausgefahrenen Geleisen bewegen. Fontane ist kein Autor zum Zeit-Totschlagen, zum Zerstreuen, zum Schmökern. Allein schon die außerordentliche Handlungsarmut in vielen seiner Romane — das beste Beispiel ist hier „Frau Jenny Treibel'“ — steht im äußersten Gegensatz zur üblichen Unterhaltungsware.

Fontanes Anliegen ist ernster, tiefer, geboren aus dem Widerspruch gegen seine Zeit, aus der Erkenntnis des Verfalls der bürgerlichen Welt. Hier liegt die Größe, Wirkung und Beschränkung dieses Werkes beschlossen. Mit der Beschränkung ist hier Fontanes Skepsis gemeint. Ihr entspringt die Hoffnungslosigkeit, in der sich Fontanes Frauenschicksale verlieren.

Der Bruch mit der Konvention, den Fontanes Heldinnen vollziehen, erfordert die Persönlichkeit als Opfer. Denn so leer und lügenhaft die Konvention auch sein mag, sie ist stark genug, um ein Aufbegehren des Menschen gegen sie zu ersticken. Es fallen etwa in „Effi Briest“ harte Worte wider das „tyrannisierende Gesellschaftsethos“, aber Fontane weiß, daß es mit Worten sein Bewenden haben muß. Er steckt selbst zu sehr in dieser bürgerlichen Welt drinnen, die er schildert und deren Todeskrankheit er erkennt. Er hat weder ein Heilmittel noch ein Rezept für das, was nach ihrem Tode kommen könnte, er ist kein Revolutionär, seine resignierende Skepsis hindert ihn daran, einer zu werden.

So gibt sich Fontane zuweilen als Ketzer, ohne es in Wirklichkeit zu sein.

Wer diesem Besten, diesem optimalen, wahren und echten Leben nachleben will, das eben jenseits der bürgerlichen Gesellschaft liegt, der wird von der Gesellschaft geächtet — und ihr Bann tut seine Wirkung. „Effi Briest“ weiß ein Lied davon zu singen, sie geht daran zugrunde, daß sie aus der Gesellschaft verstoßen wurde. Daß das Leben jenseits der bürgerlichen Welt das bessere und wünschenswertere wäre, daran läßt Fontane keinen Zweifel. Aber er läßt uns im unklaren, er verweigert die Auskunft darüber, wie sich dieses erneuerte Leben jenseits der bürgerlichen Konventionswelt denn realisieren ließe. Fontane entzieht sich der Antwort mit den Worten des alten Briest vor Effls Grabstein: „Laß das, das ist ein zu weites Feld.“ *

Ist das Ironie? Skepsis? Mahnung? Anklage? Wohl alles zugleich. Fontane zieht sich resignierend auf die Rolle des objektiven Zeitschilderers zurück, aber auch auf die eines objektiven Schilderers seiner Heldinnen. Er hat seine Effi nicht darauf angelegt, den Normen der Gesellschaft bewußt zu widerstehen. Mit kindlicher Naivität läßt er sie in den Tag hinein leben. Diese Effi läßt sich treiben, sie bäumt sich niemals auf, sie hat — gekettet an einen Mann voll Prinzipien — keine Prinzipien, und sie hat auch keine Schuldgefühle, als die Katastrophe über sie hereinbricht. Um so weniger hat sie eine Antwort auf das, was mit ihr geschieht. Die Schaukel, auf der wir Effi zu Beginn und am Ende des Romans begegnen, ist ein großartiges Symbol für den Schwebezustand ihres im Grunde ziellosen Lebens.

Diese Ziellosigkeit entspringt der Skepsis Fontanes, was Ziele und Lebensrezepte betrifft. Auch in seinen Frauengestalten gibt er keine Antworten. Aber haben wir heute, im Angesicht des inneren und äußeren Trümmerfeldes dieser Welt, wirklich eine Antwort gefunden? Ist unsere Welt wirklich „besser“ geworden oder wachsen in ihr nicht neue Bedrohungen?

Auch wir sind — wie'Fontane einmal-seiner Frau schreibt-— „von Minute zu Minute von einer Rätselmacht abhängig..., die uns streichelt oder schlägt“. Unter diesen Umständen muß man — wie es der Dichter in den Worten einer Romangestalt aus „Effi Briest“ ausdrückt, ..einfach hierbleiben und Resignation üben“. Aber Fontanes Menschen kennen auch die Angst vor dieser Rätselmacht, diese unheilbare Krankheit des modernen Menschen im zwanzigsten Jahrhundert, in der kommende Katastrophen ihre Schatten vorauswerfen.

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Sie lagen schon über Fontanes Welt, er spürte sie und machte sie spürbar. Nur ein Achselzucken der Skepsis und des Fatalismus hätte der Dichter aufgebracht, wenn er die Zertrümmerung des geliebten Berlin erlebt hätte. Er hätte etwa die Worte gebraucht, die auch in einem Brief an seine Frau stehen: „Nichts ist vorher zu berechnen, alles ist Glück, Bestimmung, oder anständiger ausgedrückt: Gottes Wille.“

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