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Das „deutsche Jahrhundert“

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THEODOR FONTANE. Schriften und Glossen zur europäischen Literatur. Band II. Herausgegeben von Werner Weber. Artemis-Verlag, Zürich-Stuttgart. 604 Seiten. sFr. 43.— — DER FRÜHE FONTANE (1340 bis 1360). Politik, Poesie, Geschichte. Von Helmuth Nürnberger. Christian-Wegner-Verlag, Hamburg. 442 Seiten. S 259.—. — CAUSERIEN ÜBER THEATER. Von Theodor Fontane. Band XXII/3. Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München. 773 Seiten. DM 48.—. — EDUARD MÖRIKE. Von Gerhard Störs. Ernst-Klett- Verlag, Stuttgart. 408 Seiten.

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THEODOR FONTANE. Schriften und Glossen zur europäischen Literatur. Band II. Herausgegeben von Werner Weber. Artemis-Verlag, Zürich-Stuttgart. 604 Seiten. sFr. 43.— — DER FRÜHE FONTANE (1340 bis 1360). Politik, Poesie, Geschichte. Von Helmuth Nürnberger. Christian-Wegner-Verlag, Hamburg. 442 Seiten. S 259.—. — CAUSERIEN ÜBER THEATER. Von Theodor Fontane. Band XXII/3. Nymphenburger Verlagsbuchhandlung, München. 773 Seiten. DM 48.—. — EDUARD MÖRIKE. Von Gerhard Störs. Ernst-Klett- Verlag, Stuttgart. 408 Seiten.

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Die unverkennbare Fontane- Renaissance, greifbar unter anderem an zwei gleichzeitig erscheinenden Münchner Gesamtausgaben („Nym- phmburger“ und „Hanser“), wird dem Österreicher erst dann in vollem Umfang verständlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, welche bewegte politische Zeit der 79 Jahre alt gewordene Dichter (1819 bis 1898) durchlaufen hat: Grundsteinlegung von Deutschlands Glanz und Gloria, aber auch Vorspiel seiner Kränze und Gräber des 20. Jahrhunderts. Ob es zur Fontane-Wiedererweckung gehört, daß man sich bei der heutigen Unsicherheit in diesen Strahlen sonnt? Werner Weber hat nun seinem ersten Band (außerdeutsches Sprachgebiet und Schauspielerporträts) einen zweiten folgen lassen: Berlin, Mark Brandenburg; Klassik und Romantik; Zeitgenossen. Daß Fontanes Beiträge (zum Großteil hier schon anläßlich der „Nymphenburger“ gewürdigt) von einer Ödipus-Rezension bis in die „unruhigen“ Ibsen und Hauptmann, Holz und Schlaf hineinreichen, zeigt die ungeheure Spannung dieser Zeit. Mit Genuß folgt man den Aperęus des alten Causeurs, schmunzelt über das „Schmerzrenommistische" an Lenau und die Betitelung Storms als „Weihekußmonopolist“.

Ging Weber vorwiegend der Wechselwirkung zwischen dem Kritiker und Erzähler nach, so erblickt Nürnberger an Fontane in der Politik den Schlüssel für die enge Beziehung der Literatur zur Wirklichkeit. So vermittelt Fontanes Werk wesentliche Einsichten zum Verständnis bedeutender Epochen der preußischen und deutschen Geschichte. Obwohl Nürnbergers Thema Fontanes Frühzeit umfaßt, stellt er richtig fest, daß seine bleibende Kunst erst die Alterskunst ist. „Mensch der Bismarckzeit" nennt ihn Schlenther, wohl wissend, was und wieviel Fontane und Bismarck getrennt haben! Denn mit fortschreitendem Alter wird der liberale, demokratische, dann regime- und restaurationstreue Fontane immer demokratischer und radikaler — solcherart vielleicht einer der repräsentativsten Brückenbauer ins 20. Jahrhundert... Zusammen mit den 55 Seiten Anhang und ebenso vielen Seiten Literatur (!) wird das bestechend geschriebene Buch besonders dem Dreiklang des Untertitels „Politik — Poesie — Geschichte“ gerecht.

Apropos: „Nymphenburger“. Die Mammutausgabe beschließt soeben mit Band XXII/3 die „Causerien über Theater“, nach zwei Bänden Berliner Rezensionen (hier schon gewürdigt) jetzt pikante Schlaglichter auf das Londoner und französische Theater, vieles zum erstenmal in Buchform, und für alle, die Zeit und Lust haben, wieder einmal mit 450 Seiten Anmerkungen (!) auf- trumpfend. Wem gilt die Krone des Fleißes: dem Dichter oder seinen Herausgebern?

Ein gänzlich anderer Typus und als Gegenpol doch charakteristisch für das „deutsche Jahrhundert" ist Eduard Mörike. Mörikes Wortkargheit über sein Schaffen macht ihn undurchsichtig. Zerschlagen ist jedenfalls das Bild des idyllischen Pfarrers an der Postille, besonders seit der Veröffentlichung der (auch hier gewürdigten) Briefe, die besonders Mörikes Zerwühltheit und Verstörtheit im Endstadium seiner Verlobung mit Luise Rau zeigen. Liebevoll schält Storz aus der Lyrik, dem Roman und den Bruchstücken eines zweiten Romans, aus Balladen und Märchen den Sinn des Dichters „für die Klangform der Sprache und ihre physiognomische Wirkung“, seine Abneigung gegen „außer ihm liegende“ (historische) Stoffe und seine Distanzierung von Vorgängen und Gestalten seiner Zeit. Fest steht: Mörike war seiner Zeit nicht gewogen. Vielleicht, weil er die ihr fol gende geahnt hat?

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