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Frau Dr. hc, Raumpflegerin
Meine Damen und Herren, die Voll-akademisierung unseres gesamten gesellschaftlichen Produktionspersonals liegt, wie eingehende Studien ergeben haben, noch sehr im argen.
Es geht nicht mehr an, daß zwar Richter, Ärzte und Pfarrer akademisch ausgebildet sind, aber Steinklopfer, Büglerinnen und Rauchfangkehrer die Segnungen einer akademischen Ausbildung entbehren müssen. Auch sie sind Menschen, denen das Recht zu einem höheren geistigen Leben zusteht. Auch sie verrichten Arbeiten, die immer mehr und immer notwendiger jener Geistigkeit bedürfen, die nur eine vollakademische Bildung gewährleistet. Betrachten wir beispielsweise den Beruf der Raumpflegerin. Welche Mannigfaltigkeit an Räumen begegnet ihr etwa: das Besenkammerl ebenso wie die Präsidentensuite, das muffige Büro eines Untersekretärs ebenso wie die Direktionskanzlei des Generaldirektors und die verrauchte Beiselgaststube ebenso wie das Restaurant eines Fünfsternhotels.
Ein jeder dieser Räume bedarf einer anderen geistigen Einstellung zum Vorgang der Reinigung. Immer wieder sind es andere Personen und gesellschaftliche Schichten, denen sie in ihrem Beruf begegnet. Und nicht zuletzt sind es immer wieder andere Gegenstände, die von ihr gereinigt werden. Braucht so eine Raumpflegerin demnach nicht ein hohes Maß an Flexibilität und Einfühlungsvermögen, ein sicheres Stilgefühl und eine unerschöpfliche Materialkunde und nicht zuletzt ein Raumgefühl, das erst so einen Putz Vorgang zur Vollendung bringt?
Das alles, meine Damen und Herren, und noch einmal sag ich es, das alles kann nur eine vollakademische Ausbildung vermitteln.
Zum Schluß vielleicht noch ein Beispiel aus dem Bereich des Dienstleistungsgewerbes, das ja ohnehin bereits mit leuchtendem Beispiel vorangeht, das edle Gewerbe der Taxifahrer. Dort ist, wie Untersuchungen nachweisen, in den letzten Jahren der Akädemisierungsgrad enorm gestiegen. Arbeitslose Mediziner, Juristen, Soziologen, Politologen, Ägyptologen, Numismatiker undnicht zuletzt Theaterwissenschaftler haben sich der traditionsreichen Zunft der Taxler zugewandt und übernahmen sozusagen Vorreiterfunktion bezüglich der Vollakademisierung aller unserer Lebensbereiche. So ein Vollakademiker am Lenkrad eines Taxis ist natürlich in jeder Hinsicht eine Bereicherung. Er kann je nach Fachrichtung mit jedem Fahrgast geistvolle Gespräche führen, fundierte politische Kommentare abgeben und er kann, wenn's sein muß, oftmals auch die Erstversorgung bei Unfällen übernehmen.
Vorteile über Vorteile, die die Vollakademisierung im Taxigewerbe mit sich bringen.
Meine Damen und Herren, erst wenn die einfache Bäckergehilfin im entlegensten Winkel des Landes und die einfache Sennerin weit oben auf den Almen unserer Berge den Doktor vor ihre Namen schreiben können, erst dann haben wir jenen Grad an Bildung erreicht, der es ermöglicht, daß Kühe nicht mehr nur geistlos gemolken werden, sondern daß in diesen äußerlich so einfachen Vorgang des Melkens jener Geist gelegt wird, den wir schon am frühen Morgen in unserem Frühstückskaffee spüren. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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