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Frefelhafter Genuss von nummeriertem Krepppapier

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Vor kurzem erschien im Gunter Narr Verlag (Tübingen) das Buch „Deutsche Rechtschreibung. Vorschläge zu ihrer Neuregelung”, herausgegeben vom Internationalen Arbeitskreis für Orthographie. Im kommenden Jahr soll das neue Regelwerk beschlossen und somit verbindlich werden.

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Vor kurzem erschien im Gunter Narr Verlag (Tübingen) das Buch „Deutsche Rechtschreibung. Vorschläge zu ihrer Neuregelung”, herausgegeben vom Internationalen Arbeitskreis für Orthographie. Im kommenden Jahr soll das neue Regelwerk beschlossen und somit verbindlich werden.

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A: Wisst ihr, das er mit Bravur den neuen Föhn in Krepppapier verpackte, in das er sich zuvor geschnauzt hatte?

B: Eine Rohheit sondergleichen!

A: Und gestern platzirte er im Re-storant das nummerierte Zigaretten-packet auf den Teller mit Majonäse!

C: Ein Frefel!

So ähnlich könnte eine Unterhaltung in einer der neuerdings äußerst beliebten Nonsens-Sendungen des Rundfunks oder Fernsehens ablaufen. Während der Lektüre dieses anspruchsvollen Gesprächs wird sich allerdings so mancher gefragt haben, ob zwangsläufig ein innerer Zusammenhang zwischen inhaltlichem Stumpfsinn und orthographischem Unvermögen besteht.

Doch so wird in absehbarer Zukunft die Rechtschreibung aussehen, sobald die „Vorschläge zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung” von der 3. Wiener Konferenz beschlossen werden. Geplant waren die dazu erforderlichen Verhandlungen für das heurige Jahr, doch durch die politischen Ereignisse in Deutschland werden sie - nach Auskunft des zuständigen Ministerialbeamten - voraussichtlich erst im Frühjahr 1994 stattfinden.

Schon 1986 und 1990 hatten sich

Arbeitsgruppen aus der ehemaligen DDR, der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz und aus Österreich in Wien getroffen, um den 1901 beschlossenen und im darauffolgenden Jahr als Regelwerk veröffentlichten Kodex der deutschen Rechtschreibung durch eine Regelung zu ersetzen, die den heutigen Erfordernissen entspricht. Zwar hatte man in der 2. Orthographischen Konferenz von Berlin den im Jahre 1901 festgelegten Regelkomplex in der Zwischenzeit erheblich erweitert, aufgrund der verwirrenden Unübersichtlichkeit erwies es sich jedoch als unmöglich, ihn in Praxis umzusetzen.

Wie das Regelwerk von 1902 soll nun die jüngst erstellte Vorlage für die Orthographie in Schule und Verwaltung verbindlich sein, auf die sich die Regelungskompetenz des Staates erstreckt. Der vorliegende Regelteil wird in sechs Teilbereiche gegliedert, von denen der erste, mit dem sich dieser Beitrag ausschließlich beschäftigt, die Laut-Buchstaben-Zuordnungen (die Fremdwortschreibung miteinbezogen) umfaßt.

Ins Auge fallen dabei die Änderungen, die sich - abgesehen von den Fremdwörtern - auf die s-Schreibung, die Verdopplung nach kurzem Vokal, das Zusammentreffen gleicher Buchstaben und die Umlautschreibungen beziehen.

S-Schreibung

Wenn wir unser etwas einfältiges Beispiel näher ansehen, so lautet dort da erste Wort: „Wisst”, das dritte: „das”. In der Regel 11 der vorliegenden Empfehlungen heißt es: für das scharfe (stimmlose) s nach langem Vokal und Diphthong schreibt man ß, wenn im Wortstamm kein weiterer

Konsonant folgt. Daraus ergibt sich die neue Schreibung: wissen - er weiß - er wusste - ihr wisst - gewusst; genießen - er genoss - der Genuss; es passt; wässrig; Fluss. Außerdem soll aus „systematischen und insbesondere aus didaktischen Gründen die Unterscheidungsschreibung das (Artikel/Pronomen) und daß (Konjunktion) zugunsten von einheitlich das aufgegeben” werden. Eine Anmerkung am Rande: Die Mitglieder der Arbeitsgruppe aus der Schweiz - wo man ja ohnehin kein ß, sondern durchwegs ss schreibt -votieren für die Beibehaltung der Unterscheidungsschreibung.

Verdopplung

In unserem Paradebeispiel haben wahrscheinlich die Wörter „numme-rieren”, „Zigarretten”, „Packet” und „platzieren” die größte Verwunderung ausgelöst. Die Regel 1 der Vorschläge lautet: folgt im Wortstamm auf einen betonten kurzen Vokal nur ein einzelner Konsonant, so kennzeichnet man die Kürze des Vokals durch eine Verdopplung des Buchstabens für den Konsonanten.

Um nun die Ausnahmen zu dieser Regel abzuschaffen, werden bei einer Reihe von Wörtern folgende Änderungen empfohlen: Ass (wegen Asse), fitt (wegen fitter), Karamell (wegen Karamelle), nummerieren (wegen Nummer), Mopp (wegen moppen), Tipp (wegen tippen), Stepp (Tanzschritt; wegen steppen), Stopp (wegen stoppen, aber weiterhin auf dem Verkehrsschild Stop), Tollpatsch (heute zu toll), tipp topp, Topp, Zigar-rette (wegen Zigarre), Mesner/Messner (heute zu Messe), Packet (wegen packen, Päckchen), Stuckateur/Stuk-katur (wegen Stuck), frotzeln (Tilgung der Nebenform frozzeln), Matritze (wegen Matratze), platzieren (wegen Platz).

In unserem Beispiel wurde durch die Wörter „Krepppapier” und „Rohheit” auch auf eine weitere Neuerung hingewiesen. Wenn in Zusammensetzungen drei gleiche Konsonanten zusammentreffen, sollen immer alle erhalten bleiben. Diese Regelung gilt schon heute, wenn den drei gleichen Buchstaben ein weiterer Konsonant folgt. Schifffracht, fetttriefend, außerdem allgemein bei der Trennung Schiff-fahrt.

In Zukunft sollen auch dann alle drei Konsonanten geschrieben werden, wenn ein Vokal folgt: Schifffahrt, wettturnen, Flusssenke. Entsprechend soll künftig auch bei der Endung -heit ein vorangehendes h erhalten bleiben: Rohheit, Zähheit (bisher Roheit, Zäheit), wobei angemerkt werden darf, daß in unseren Breiten vorwiegend nur der Ausdruck „Zähigkeit” verwendet wird!

Umlautschreibungen

In unserem exemplarischen Gespräch wird durch das Zeitwort „schnauzen” angedeutet, daß man beabsichtigt, in Hinkunft bei einigen Einzel wörtern in Anlehnung an andere Begriffe dersSelben Wortfamilie neu ä statt e beziehungsweise äu statt eu zu schreiben:

Quäntchen (heute zu Quantum), schnäuzen (heute zu Schnauze), über-schwänglich (wegen Überschwang), Schenke/Schänke (Varianten; wegen einschenken, Ausschank), aufwendig/ aufwändig (Varianten; wegen aufwenden, Aufwand).

Daneben - siehe in unserem Fall die Ausdrücke, ,Föhn” und, Frevel” - wird die Schreibung einzelner Wörter „den allgemeinen Realitäten der Laut-Buchstaben-Zuordnungen angepaßt”. So etwa rau (wie alle Adjektiva auf au wie blau, genau, schlau; entsprechend auch Rauheit), Känguru (vergleiche andere fremdsprachige Tierbezeichnungen wie Emu, Gnu, Kakadu), Föhn (Fallwind und Heißlufttrockner), Frefel.

Schreibung der Fremdwörter

Einen eigenen Unterabschnitt bildet die, .Fremdwortschreibung”, weil es sich bei diesem Teilbereich um ein Spezialgebiet handelt, das Schreibvarianten erforderlich macht.

„Wenn ein Wort aus einer anderen Sprache ins Deutsche übernommen wird, erscheint es normalerweise zunächst in der fremdsprachigen Schreibung (zum Beispiel Photographie, Philosoph). In dem Maße, in dem der Eindruck der Fremdheit schwindet, neigt die Schreibgemeinschaft dazu, das fremde Wort wie ein einheimisches zu behandeln und entsprechend zu schreiben (zum Beispiel Fotografie)”. Da es äußerst schwierig ist, allgemeingültige Entwicklungsstufen zu erlassen, erscheint eine „behutsame Variantenführung” angebracht.

Unter diesem Gesichtspunkt sind in unserem Beispiel die angeführten Fremdwortvarianten „Bravur”, „Re-storant” und „Majonäse” zu beurteilen, für die selbstverständlich nach wie vor auch die althergebrachte Schreibweise „Bravour”,,.Restaurant” und „Mayonnaise” gilt. Aus der Fülle der neuen Möglichkeiten sind folgende Vorschläge wahrscheinlich die auffälligsten: Kommunikee, Dübel, Pi-ruette, Siluette, Alfabet, Katastrofe, Rabarber, potenziell.

Eine ausführliche Behandlung der restlichen fünf Teilbereiche soll einem weiteren Beitrag zu diesem Thema vorbehalten bleiben.

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