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Führer oder Verführer

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Ich bin mir der Verantwortung bewußt, die unsere heute lebende Generation für die kommende Generation hat. Unser Lehren besteht dabei im Vorangehen, und unser Lernen besteht im Folgen. Daher sind wir alle Vorbilder zum Guten oder zum Bösen.

Wir sind für die kommende Generation Führer oder Verführer. Wir führen zu Zielen oder in Sackgassen. Wir alle bilden die kommende Generation heran nach jenem geistigen Bild, das wir selber vor Augen haben.

Der Weg nach vorne war bisher scheinbar selbstverständlich und vorgegeben. Die kommende Generation fragt uns heute: Wohin gehst du, wohin führst du, welche Ziele hast du?

Vor uns hegen zwei Wege. Der eine Weg führt zum primitiven oder tierischen Menschen, führt zu kranken Grundstrukturen, zur geistigen Erschöpfung, zu egozentrischem und krankhaftem Verhalten. Diese Welt ohne Liebe verdient fast den Namen einer irdischen Hölle.

Der andere ist der Weg zum Geistigen. Wir ersehnen eine geistige Umwälzung von kopernikanischem

Ausmaß. Eine solche Umwälzung besteht in der entschlossenen Entscheidung für den Weg zum Geistigen. Nur wenn es uns gelingt, auf diesem Weg voranzugehen, wird die Welt einer Selbstzerstörung entgehen können.

• Auf diesem Weg muß die Familie vorangehen. Eine geistige Umwälzung von kopernikanischem Ausmaß kann nur gelingen, wenn die Erhaltung und Heilung der Familie gelingt. Denn in der Familie wird die kommende Generation positiv geprägt. Dort erfahrt jeder den Wert oder Unwert des Menschen.

Die Familie leidet heute an einer schleichenden Vergiftung. Das Gift besteht in einer jammervollen modernen Auffassung von Freiheit, in der Flucht der jungen Mütter nach auswärts, im libertinistischen Klima unserer Gesellschaft, im lässigen Töten der Ungeborenen. Wir müssen uns bemühen, daß man in der Familie wieder leben kann, alt werden kann, Heimat und Geborgenheit findet, daß Leid und Opferbereitschaft einander ablösen.

• Der zweite Erzieher zum Geist ist seit Menschengedenken die Religion. Man könnte sagen, die Religion ist der ständige Hinweis auf die Welt des Geistigen. Alle großen Weltreligionen verkünden das Geistige, die Bekehrung des Menschen zum Geist, die Uberordnung des Geistes über die Materie, den Vorrang der Ethik vor der Technik, den Primat der Person vor den Dingen.

Alle Religionen appellieren an die Fähigkeit des Menschen, das Jenseitige der Grenze zu erahnen und das Absolute zu erfahren. Der Mensch hat Hunger nach Sinn und Wahrheit, ein Gefühl für absolute Pflicht und Verantwortung, Durst nach letzter Erkenntnis, das heißt: Wer bin ich? Wem bin ich verantwortlich? Was ist das Gute und was ist das Böse?

Wir sollen uns bemühen, der Religion wieder mehr Einfluß zu verschaffen, damit sie ihrem Erziehungsauftrag besser entsprechen kann. Man sollte der Religion mehr Einfluß gewähren auf das Erziehungsklima, auf die Kreise der Politiker und Wirtschaftskapitäne, der Journalisten, der Philosophen und der Massenmedien.

• Der dritte große Erzieher unserer Zeit ist die Schule selbst. Sie hat auf weiten Strecken den Anspruch aufgegeben, junge Menschen auf ihrer Suche nach Wahrheit zu begleiten. Sie gibt keine Antwort auf die Fragen: Was ist der Mensch? Was soll er tun oder lassen, was ist Freiheit, worin besteht der Fortschritt, was ist gut und was ist böse?

Solche Fragen finden sich heute nicht mehr in den Lehrplänen; aber Wege bauen und Wege zeigen, soll auch Aufgabe der Schule sein. Wir müssen im Schulbereich zu ursprünglichen Erziehungsmethoden zurückkehren: Lehren durch Fußspuren, das heißt durch Vorangehen, Vorbüd sein, und lernen durch Nachspüren, durch das Nachfolgen.

Der Lehrer muß seine Qualität als Meister, Vorbild, menschliche Autorität zurückgewinnen. Das scheinbar Nutzlose und nicht mit Noten zu Beurteilende muß in der Schule wieder die Oberhand gewinnen.

• Die Praxis des Wirtschaftslebens ist der Erzieher der Erwachsenen. Was die Wirtschaft tut, iwägt auch den einzelnen. Die Wirtschaft des Westens ist heute weitgehend egoistisch, nicht bereit zu teilen mit den Armen, mehr ausgerichtet auf das Verdienen als auf das Dienen. Das Menschenbild der Wirtschaft ist der Konsument, die Vergnügungsgesellschaft, die Leistungs- und Produktionsgesellschaft, die Arbeitskraft.

Nach diesem Menschenbild erzieht bewußt oder unbewußt die Arbeitswelt den Menschen - nicht durch Worte, sondern durch Vorbild.

Die Politiker haben sich nahezu gänzlich auf die Verwaltung des Wirtschaftlichen zurückgezogen. Sie sollten aber auch Ingenieure des Geistes für die Wirtschaft sein. Die Politiker sollten durch Uberzeugung, durch Grundsätze den Weg der Wirtschaft zum Geistigen hinlenken.

Sie sollten Ideale zeigen und notwendige Opfer auf diesem Weg den Menschen zumuten. Aber unter dem Druck der Wählerwünsche begnügen sie sich weitgehend mit pragmatischen Lösungen. Sie gehen nicht voran, sie lassen sich von den Nachfolgern vorwärts drängen.

Ich glaube nicht, daß es uns gelingen wird, die Welt als Ganzes auf diesem Weg zum Geistigen hin zu bewegen. Denn ich achte die freie Entscheidung des Menschen.

Aber ich glaube daran, daß wir Verantwortung dafür tragen, daß die kommende Generation eine echte Möglichkeit vorfindet, diesen Weg zur geistigen Förderung des Menschen zu wagen, weil viele überzeugende Vorbilder da sind. Ich glaube an die überragende Bedeutung des einzelnen.

Wer sich zu diesem Weg des Geistigen entschließt, wird viele Nachfolger finden. Wer nur auf andere wartet, wird weder sich, noch den anderen dienen. Jeder von uns ist Erzieher, jeder von uns trägt Verantwortung, jeder von uns muß selber noch ein Lernender sein, der diesen Weg zu geistigen Zielen neu sucht.

(Dies ist eine leicht gekürzte Fassung des Vortrages, den der Autor bei der jüngsten Tagung des „Klubs von Rom“ in Salzburg hielt.)

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