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Funktional bauen ist ein Irrweg

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Eine in ihren Strukturen äußerst komplex gewordene Welt, ein in Ost und West geteiltes Europa schließen es aus, das Thema aus internationaler Sicht abzuhandeln.

Dem hungerndem Kind in den „Favelas" in Südamerika steht der Sinn nicht nach Kunst. Es verlangt nach Brot. Seine Umwelt ist in einem gewissen Sinne trotz aller Armut human, weil familiärnachbarliche Bande es festhalten. Inhuman geworden ist die Umwelt im Umfeld der durch rasche Industrialisierung veränderten Landschaften. Mitverändert haben sich Lebensbedingungen und Gesellschaftsformen.

In einer Zeit der äußersten Bedrohung der Menschheit von außen und innen, in einer Epoche extremer Alternativen, kommt es zu einer intensiveren Hinwendung der Menschen zur Kunst. Im letzten Jahrzehnt suchten Wissenschaftler und Künstler verschiedenster Disziplinen nach Lösungen um die Industrielandschaft Mitteleuropas mit ihrer dichten städtischen Verbauung humaner zu gestalten.

Einer der einsamen und unentwegten Rufer in der Wüste ist der Maler Friedensreich Hundertwasser. Für ihn ist Kunst aufs engste mit Natur verbunden. Befragt dazu, welchen Stellenwert er der Kunst in Zukunft einräume, gab er folgende Antwort:

„Die materielle Unbewohnbar-keit der Elendsviertel ist der moralischen Unbewohnbarkeit der funktionalen, nützlichen Architektur vorzuziehen. In den sogenannten Elendsvierteln kann nur der Körper des Menschen zugrunde gehen, doch in der angeblich für den Menschen geplanten Architektur geht seine Seele zugrunde. Daher ist das Prinzip der Elendsviertel, das heißt der wild wuchernden Architektur, zu verbessern und als Ausgangsbasis zu nehmen und nicht die funktionale Architektur.

Die funktionale Architektur hat sich als Irrweg erwiesen, denn daran geht zuerst die Seele, dann die materielle Existenz und das Leben des Menschen zugrunde."

Uber einen Zeitraum von zehn Jahren hielt sich der Architekt Carl Pruscha, Vorstand des Instituts für Gebäudeforschung an der Akademie der bildenden Künste in Wien, in Nepal auf, in einem Land, das sich im vorindustriellen Stadium befindet und keine Umweltschutzprobleme kennt. Im Auftrage der dortigen Regierung erstellte er ein Raumplanungskonzept für das Kath-mandu-Tal und führte Demonstrationsbauvorhaben aus. Eine als schön empfundene Aufgabe, mit der Hand in Hand eine intensive Beschäftigung mit der Lebensweise, Kunst und Religion der Bewohner Nepals ging.

Das Kathmandu-Tal ist sein Modelltal geworden. Aber auch Modell und Anstoß für die Aufbruchwilligen unter den Architekten, für diejenigen, die sich nicht ausschließlich technischem

Perfektionismus, Kosten-Nutzen-Denken und dem Planen von Ewigkeitsruinen verschrieben haben, für die, die wünschen, daß das Haus wieder Schale werde für den Menschen, der in ihr individuelle Bedürfnisse verwirklichen könnte. Sie auch als einen Ort des Vereinens mit der Ubernatur empfände.

Eine solche Einstellung hätte zur Folge, daß ein neues Berufsbild, des Architekten entstünde, der dann nicht mehr nur Planer, sondern auch Anwalt des Menschen wäre. Der für ihn ankämpfte gegen die Macht der Medien, der der Reklame. Das Wesentliche wieder auffände. Mut machte, eigene Wünsche durchzusetzen. Als

Autorität den Rahmen steckte, der der Gemeinschaft dienlich wäre, trotzdem aber dem einzelnen genug Spielraum ließe, um sein Leben zufriedenstellend zu gestalten.

Der Philosoph Karl Popper sagte: „Jeder sei sein eigener Philosoph." Der Maler Beuys erklärte: „Jeder sei sein eigener Künstler." Carl Pruscha meint: „Jeder solle sich den Rahmen schaffen, damit er beides sein könne, Philosoph und Künstler und damit zugleich human."

„Sehen Sie" - Carl Pruscha demonstriert anhand von Bildtafeln — „wie sich hier das Gebäude aus der Erde erhebt, mit der Erde eins wird. Wie subtil die Verbindung ist. Dazu das naturliche Material, der gebrannte Ton. Die erreichte Homogenitat Warum kann es nicht auch in Europa so sein? Wir haben doch auch eine anonyme Architektur."

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