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Gefährdet Herr Li das Klima ?

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Zivilisatorische Basisbedürfnisse von Milliarden fallen neben der Ressourcen- und Umweltverschwendung der Industriestaaten verhältnismäßig wenig ins Gewicht.

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Zivilisatorische Basisbedürfnisse von Milliarden fallen neben der Ressourcen- und Umweltverschwendung der Industriestaaten verhältnismäßig wenig ins Gewicht.

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Das große Weltuntergangs- Szenario ist wieder einmal um ein Steinchen reicher. In China soll sich zum Fahrrad der Kühlschrank gesellen. Eine Milliarde Menschen, die noch keinen haben, sollen einen bekommen. Nicht jeder einzelne. Aber doch jede Familie. Nicht alle auf einmal. Aber doch so schnell wie möglich. Die Sache hat eine ökologische und eine psychologische Seite.

Wir wissen, daß sich die gequälte Natur für das, was wir mit ihr anstellen, rächen wird. Ein trügerischer Trost war das Bewußtsein, daß die umweltversauende, ressourcenvernichtende Bevölkerung Europas und der USA, Japan geht auch noch drein, die Milliarde genügsamer Chinesen zahlenmäßig nicht aufwiegt. Solang wenigstens China brav bleibt, haben wir noch Zeit, dachte sich mancher. Und nun wollen die Chinesen Kühlschränke! Haben sie jedes Gefühl für Verantwortung verloren? So etwa reagieren Europäer mit Kühlschrank, polyurethangeschäumtem Schischuh,

Auto und Umweltbewußtsein.

Was diese vier Dinge miteinander gemein haben? Zur Herstellung all dieser Produkte werden Chlorfluorkohlenwasserstoffe (CFK) verwendet. Diese sieden niedrig, sind nicht brennbar, nach bisherigem Wissen kaum schädlich, reagieren mit den meisten chemischen Substanzen träge und eignen sich daher bestens als Treibgase. Bis sich herumgesprochen hatte, daß die Freisetzung großer CFK-Mengen die Ozonschicht, die den Ultraviolett-Anteil des Sonnenlichtes reduziert, zerstören und dadurch böse Folgen für die Menschheit haben dürfte, hatten sich die CFK einen gewaltigen Markt erobert. Der Ul traviolett-Anteil des Sonnenlichtes ist ein wichtiger Faktor bei der Entstehung des Hautkrebses. Größte CFK-Hersteller weltweit: Du Pont und ICI.

CFK liefern den Druck, der Rasierschaum, Haarfixierer, Kriechöl und eine Menge anderer Produkte aus Millionen und Abermillionen Spraydosen preßt. Als winzige Gasbläschen verleihen sie dem Polyurethan-(PU-) Schaum seine wärmedämmende Wirkung. Dank PU-Schaum kriegt im modernen Schischuh niemand mehr kalte Füße, und auch in der Autoindustrie kommt er in größeren Mengen zum Einsatz. Das alles andere als harmlose Ausgangsprodukt der CFK-Er- zeugung, Tetrachlorkohlenstoff, ist die Basis des Putzereigewerbes und spielt nebst CFK auch in der Computerindustrie eine wichtige Rolle.

In den Kühlschränken spielen die CFK gleich eine doppelte: In der Wärmeisolierung, die als , PU-Schaum in die vorgesehenen Hohlräume eingespritzt wird, sowie als Kältemittel. Die Nachricht von den Kühl schränken für eine Milliarde Chinesen wurde also von vielen Umweltbewußten geradezu als Horrormeldung zur Kenntnis genommen. Welchen Effekt hätten die Kühlschränke für eine Milliarde Chinesen?

In der Bundesrepublik Deutschland werden jährlich 75.000 Tonnen CFK erzeugt. Weltweit fast das Zehnfache. In den obersten Schichten unserer Lufthülle, wo das Ozon die UV- Einstrahlung abschirmt, killt jedes

CFK-Molekül 20.000 Ozonmoleküle. Da die CFK nur wenig leichter sind als die Luft, dauert ihr Aufstieg Jahre. Die schädlichen Folgen stellen sich deshalb mit großer Verzögerung ein, und auch die Krebsentstehung ist ein langwieriger Prozeß. Dazu kommt, daß ein Großteil der heute erzeugten CFK erst dann in die Luft gelangen wird, wenn die heutigen Autos und Kühlschränke eingeschmolzen werden oder auf den Deponien verrotten. Nicht zu vergessen die in der Baustoffindustrie verwendeten PU-Schäume, deren Umwelt-Zeitzünder noch viel langsamer tickt.

Als die deutschen Haushalts- geräte-Hersteller unter CFK-Be- schuß gerieten, gaben sie eine Studie über die Herkunft der in der Ozonschicht wirksamen CFK in Auftrag. Ergebnis: Treibgas aus Spraydosen: 35 Prozent; PU- Schäume in Autos, Baustoffen et cetera ohne Haushaltsgeräte: 30 Prozent; Lösungs- und Reinigungsmittel: 27 Prozent; Kälte-

mittel in Kühlhäusern, Klimaanlagen einschließlich Autos, ohne Haushaltsgeräte: 5 Prozent; PU- Schäume in Geräten zur Haushaltbevorratung (Kühlschränke, Tiefkühlgeräte): 2,16 Prozent; Kältemittel in Haushaltsgeräten: 0,54 Prozent.

Ein gängiger 160-Liter-Freezer ohne Tiefkühlfach enthält rund 85 Gramm CFK als Kältemittel, ein Kühlschrank mit „Drei-Sterne- Fach“ (auf das die Chinesen Wert legen werden) 120 Gramm. Im wärmedämmenden PU-Schaum sind bis zur Verrottung des Materials laut Auskunft eines großen Herstellers weitere 200 Gramm CFK gebunden.

Nehmen wir an, die durchschnittliche chinesische Familie bestehe aus vier Personen und es wäre möglich, 250 Millionen Haushalte auf einen Schlag mit Kühlschränken auszustatten. Die Vergrößerung der CFK-Umwelt- Zeitbombe hätte folgendes Ausmaß: 80.000 Tonnen, knapp mehr als eine Jahresproduktion der Bundesrepublik. Selbst wenn wir den Chinesen Zutrauen, in einem Jahrzehnt jede Familie mit einem Kühlschrank zu versorgen - was unrealistisch ist -, kann man die zusätzliche CFK-Belastung also vernachlässigen.

Ähnliches gilt für die Verstärkung des globalen Treibhauseffektes durch die Erzeugung der von den chinesischen Kühlschränken benötigten Energie. Ein Kühlschrank oben erwähnter Art hat in gemäßigten Breiten 90 Watt Anschlußwert, die er durchschnittlich 12 Stunden pro Trag beansprucht. Hätten 250 Millionen chinesische Familien - eine Milliarde Menschen! — einen Kühlschrank, würde dafür ein Drittel der elektrischen Energie benötigt, welche die öffentlichen Kraftwerke der Bundesrepublik mit ihren nur 61 Millionen Einwohnern erzeugen.

Langer Rechnung kurzer Sinn: In einer globalen Ressourcenbilanz spielt die Befriedigung jener Bedürfnisse, die mit dem Anspruch auf Teilhabe an den zivilisatorischen Errungenschaften auf einem relativ niedrigen Niveau entstehen, selbst angesichts einer Milliarde Menschen nur eine geringe Rolle, verglichen mit der ungeheuren Verschwendung, die sich die Industriestaaten leisten.

Fahrräder und Kühlschränke dürften Industrieprodukte sein, welche die Lebensqualität in einem Entwicklungsland entscheidend verbessern. Das Rad bedeutet Mobilität, Kühlung vermindert die heute noch erschreckenden Verluste an Nahrungsmitteln.

Übrigens: Die Rückgewinnung des Kältemittels aus Kühlschränken ist vom Ansatz her gelöst. Noch vor wenigen Jahren waren komplizierte Geräte nötig, daher hätte man die alten Schränke zu Sammelstationen bringen müssen. Heute gibt es den „Recycling- Bag“, mit dem ein Servicetechniker in wenigen Minuten das Kältemittel absaugen kann.

Eine Volkswirtschaft, in der die manuelle Arbeit noch eine so große Rolle spielt wie in der chinesischen, wird möglicherweise die PU-Schäume in ihren Kühlschränken zum Großteil durch keramische Isolierungen, Steinwolle et cetera ersetzen, die bei höherem Arbeitsaufwand fast denselben Effekt erzielen. Vielleicht kommen auch wir noch so weit. Eine große Erzeugergruppe ist in den letzten Monaten dazu übergegangen, das Treibmittel CFK durch Preßluft zu ersetzen. Die dadurch bedingte Verminderung der Isolierleistung entspricht 0,05 Kilowattstunden pro Tag oder 18,25 pro Jahr (beim derzeitigen Wiener Strompreis jährlich ganze 30 Schilling).

Umsonst ist aber leider nichts, vor allem in der Physik: Die um 120 Gramm höchst ozonschädlichen Chlorfluorkohlenwasserstoff entlastete Lufthülle der Erde wird dafür in den durchschnittlich 15 Jahren, in denen ein Kühlschrank kühlt, mit einer Arbeitsleistung von 273 Kilowattstunden aufgeheizt. Ein elf Tage ununterbrochen laufender 1-KW-Heiz- lüfter würde denselben Klimaschaden anrichten.

In Europa wächst langsam das Bewußtsein für die summierte Wirkung vieler kleiner Einflüsse — an den Konsequenzen im persönlichen Bereich hapert es noch. Unseren Alltag prägen elektrische Aufzüge und Rolltreppen, bei Annäherung elektrisch öffnende Türen, Büros, die bei hellem Tageslicht und auch wenn niemand anwesend ist, mit Hunderten Watt erleuchtet werden, jahraus, jahrein ununterbrochen eingeschaltene Heißwasserbereiter, überheizte Räume und so weiter.

Aber ausgerechnet angesichts der chinesischen Kühlschränke wird uns mulmig.

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