6878915-1979_02_07.jpg
Digital In Arbeit

Gespenster sehen eine Tugend

Werbung
Werbung
Werbung

Mit Amerika betrug der jährliche Warenaustausch nur 1 Milliarde Dollar, hauptsächlich in Landwirtschaftsprodukten. Bei der letzten Messe in Kanton gelangen den Amerikanern nur Abschlüsse für 82 Millionen Dollar, zur Hauptsache für Schädlingsbekämpfungsmittel und Kunstdünger. Die Intercontinen-tal-Hotelkette allerdings wird sechs Riesenhotels in China bauen und betreiben, und Boeing kann Großraumflugzeuge liefern.

Fünf ölfirmen hoffen auf Riesenaufträge für die Erschließung der öl-felder in China und in dem vorgelagerten Festlandsockel. US Steel bewirbt sich für einen Milliardenauftrag für ein Stahlwerk. China interessiert sich für amerikanische Satelliten für den Ausbau des internen Fernmeldesystems.

Präsident Carter wird daher auch stark von wirtschaftlichen Motiven geleitet gewesen sein, die für das amerikanische Prestige schwerwiegenden Bedingungen Pekings zu schlucken. Der Zeitpunkt aber ist so

gewählt, daß auch auf außenpolitischem und strategischem Gebiet ein Zeichen gesetzt wird - eine Antwort nämlich auf die sowjetischen Initiativen in Südostasien, Afghanistan, Afrika und wohl auch in Iran.

Wenn der „Rote Stern“ sogleich den USA vorwirft, mit China und Japan eine Dreierallianz gegen die Sowjetunion zu schmieden, verrät sich darin die in Moskau wiederholt in letzter Zeit geäußerte Sorge, im Fernen Osten könnte ein der NATO entsprechendes Militärbündnis entstehen. Soweit ist es gewiß nicht!

Zumindest wird China Nordkorea vor einem Uberfall auf den Süden abhalten und damit Carter den Abzug der amerikanischen Bodentruppen erleichtern. Ein Angriff Chinas auf Taiwan ist ebenfalls ausgeschlossen, auch wenn Peking die von Amerika gewünschte Erklärung, auf eine militärische Intervention zu verzichten, aus prinzipiellen Gründen nicht ablegen will. Die Kriegsgefahr in Nordostasien scheint damit gebannt.

„Tarid, Tand ist das Gebild von Menschenhand ■ ■ ■“ raunen die Hexen in der Ballade, die Fontane nach dem Einsturz der Brücke über den Firth ofTay schrieb. Ein Frachterunglück, ein leckgeschlagener und ein explodierter öltanker erinnern diese Woche wieder einmal daran.

Heute sprechen Luftfahrttechniker viel nüchterner von „Murphys Gesetz“, demzufolge jeder Fehler, der einem Monteur theoretisch bei der Wartung eines Flugzeuges unterlaufen kann, irgendwann und irgendwo auch tatsächlich gemacht wird. Darum achten die Flugzeugkonstrukteure heute eisern darauf, daß keiner der ungezählten Einzelteile, keine Schraube und kein Bolzen an falscher Stelle oder verkehrt eingebaut werden kann.

,Murphys Gesetz“ gilt leider nicht nur im Luftverkehr und nicht nur bei der Wartung. In unserer hochtechnisierten Zivilisation können wir uns darauf verlassen, daß Unglücke, die geschehen können, auch irgendwann, irgendwo geschehen. Je mehr Großtanker (und neuerdings sogar Flüssiggas-Transportschiffe) die Weltmeere befahren, desto mehr verdichtet sich die geringe Wahrscheinlichkeit eines Lecks, einer Kollision, einer Explosion zur statistischen Wahrscheinlichkeit.

Dasselbe gilt für Flüssiggastransporte in Tankwagen, die ausgerechnet auf einen Campingplatz fallen können. Für chemische Werke, die mit Substanzen operieren, neben denen das Chlorgas des Ersten Weltkrieges harmlos erscheint, wenn die Sicher-

heitsvorkehrungen nicht an der Gefährlichkeit des Produktionsprozesses, sondern an den Vorschriften am jeweiligen Standort orientiert werden. Für Bürohäuser, in denen sich jeder darauf verläßt, daß es schon anderswo brennen wird. Und, und, und ...

Murphys Gesetz schlägt überpll zu, wo Menschen mit der Unvoll-kommenheit allen Menschenwerkes kokettieren und sie als Alibi für Unterlassungssünden mißbrauchen. Überall, wo sich Menschen mit der UnwahrScheinlich-keit einer Katastrophe begnügen, statt alles Menschenmögliche daranzusetzen, um der theoretisch unmöglichen totalen Sicherheit in der Praxis doch noch etwas näherzukommen.

Doch Technikfeindlichkeit, vielleicht gar Zivüisatiönsfeindlich-keit, wäre die falsche Alternative. Gefragt sind hingegen Menschen, die immer und überall bereit sind, Gefahren zu sehen und zu bekämpfen, bevor etwas geschehen ist. Menschen, die bereit sind, „Gespenster“ zu sehen. Gefragt ist eine neue Mentalität im Umgang mit der Technik, die sich höhere Sicherheitsstandards nicht „von außen“ aufzwingen läßt und die Forderung darnach nicht für eine Zumutung oder für ein Attentat auf die Rendite hält, sondern die Anforderungen an die Sicherheit von sich aus permanent erhöht.

In einer Welt, in der sich eine solche Mentalität durchgesetzt hat, würden wahrscheinlich auch Abstimmungen über Kernkraftwerke anders ausgehen als heute.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung