Die falsche Bibel?

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Von Mouhanad Khorchide über Heilige Schriften und die wahren Grenzen zwischen den Religionen.

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Von Mouhanad Khorchide über Heilige Schriften und die wahren Grenzen zwischen den Religionen.

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Wenn man klassische islamische Theologie studiert, lernt man das Konzept von Tahrif kennen. Nach diesem Konzept ist die Bibel, die wir heute lesen, eine reine Fälschung. Die sogenannten „Leute der Schrift“, wie der Koran Juden und Christen bezeichnet, hätten ihre Heiligen Schriften verfälscht. Der Koran spricht von Tahrif (arabisch für Verfälschung) und so hat sich dieses Konzept im Laufe der Jahre nicht nur etabliert.

Es gilt inzwischen in der Wahrnehmung der meisten Muslime als selbstverständlich, dass die heutige Bibel kaum mit dem Original zu tun hat. Das ist der Hauptgrund, weshalb Muslime kaum in der Bibel lesen, und wenn, dann nicht mit dem Anspruch, es sei eine von Gott inspirierte Schrift, sondern eine von Menschen geschriebene, in der Gott keine Rolle spielt. Übersehen wird dabei, dass der Koran selbst die Bibel soweit würdigt, dass er die Juden und Christen zur Zeit Mohammeds aufruft, sie sollten ihre Schriften ernst nehmen.

In Sure 5:43 bis 47 werden Juden und Christen angehalten, sich nach der Tora und dem Evangelium zu richten. Wohlgemerkt, nicht nach dem Koran. Diejenigen, die von Tahrif sprechen, übersehen allerdings, dass die Stellen (5:41), keine Pauschalaussagen über alle Juden und Christen machen, sondern er berichtet von bestimmten Gruppen, die Mohammed zu manipulieren versuchten, indem sie ihm falsche Aussagen vorlegten und meinten, diese würden aus der Bibel stammen.

Leider verbreiten sich in den Sozialen Medien immer mehr Debattenformate zwischen Muslimen und Christen, in denen es darum geht, das jeweils andere Heilige Buch argumentativ als unglaubwürdig darzustellen. Vergessen wird dabei, dass die eigentliche Grenze keineswegs zwischen Bibel und Koran verläuft, sondern zwischen Fundamentalisten einerseits und weltoffenen Muslimen wie Christen auf der anderen Seite. Erstere suchen in ihren Schriften nach Legitimation von Konfrontation, Letztere suchen nach Grundlagen für ein konstruktives Miteinander.

Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster.

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