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“Go east“ heißt eine Chance für Niederösterreich

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Im Ostblock beginnt ein politisches und wirtschaftliches “Tauwetter“. Welche Chancen ergeben sich daraus für das grenznahe Niederöster- reich?

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Im Ostblock beginnt ein politisches und wirtschaftliches “Tauwetter“. Welche Chancen ergeben sich daraus für das grenznahe Niederöster- reich?

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Als vielleicht wichtigste Ursache des wirtschaftlichen. West-Ost-Gefälles wird oft die Randlage der Ostregion besonders zu den westeuropäischen Industrieländern erwähnt. Die Randlage ist ein Faktum, das man nicht wegdiskutieren kann. Der größte Teil der Grenze der Ostregion verbindet mit osteuropäischen Staaten, die sowohl von ihrer wirtschaftlichen Attraktivität als auch vom Einkommensniveau nicht mit den westlichen Ländern mithalten können.

Die niedrigere Exportquote hängt vielleicht mit der Randlage zusam-

men, ist aber auch einstellungsbe- dingt und nicht imbeeinflußbar Die Exporte in der Ostregion in Relation zum Umsatz betragen 8,3 Prozent, in der Westregion sind es 14,5 Prozent. Üblicherweise wachsen Regionen, die stärker in den Außenhandel einbezogen sind, rascher als binnenorientierte Regionen.

In der sektoralen Struktur der Industrieproduktion gibt es zwei wesentliche Unterschiede, besonders zwischen der niederösterreichischen Industrie und der gesamtösterreichischen. Auf der einen Seite ist der Basissektor kleiner, dies wäre angesichts der strukturellen Probleme der Grundstoffindustrie ein positiver Strukturfaktor Auf der anderen Seite ist aber der zukunftsträchtigste Sektor, der Bereich der technischen Verarbeitungsprodukte (Maschinenindustrie, Elektroindustrie, Eisen- und Metallwaren und Fahrzeugindustrie) in Niederösterreich ebenfalls beträchtlich kleiner als in Gesamtösterreich. Somit tragen auch sektorale Komponenten zur geringen Dynamik bei, ohne sie vollständig erklären zu können.

Generell dürfte die Anpassungsgeschwindigkeit an veränderte wirtschaftliche Gegebenheiten in der Ostregion kleiner sein als in der Westregion. Der öffentliche Sektor ist größer, die Notwendigkeit, sich an wandelnde wirtschaftliche Gegebenheiten anzupassen, scheint damit nicht im selben Ausmaß gegeben. Ob man die geringere Mobilität und die geringere Außenorientierung auch soziologisch und psychologisch erklären will, ist nebensächlich. Tätsache ist, daß geringere Flexibilität und Mobilität die wirtschaftliche Dynamik bremsen.

Zu den Stärken der Ostregion zählt, daß die stärkste kaufkräftige Nachfrage im Konsumzentrum rund um Wien vorhanden ist. Neben der quantitativ starken Nachfrage ist die Nachfrage des Zentrums auch in qualitativer Hinsicht ein Vorreiter. In der Hauptstadt sind die höchsten Einkommen gegeben, es werden daher die Konsumgüter mit der stärksten Qualitätskomponente nachgefragt. Tatsache ist, daß bis heute gerade die hochwertigsten Konsumgüter oft importiert werden müssen, hier läge bei erfolgreichem Strukturwandel eine Chance für die Industriebetriebe der Ostregion: die ausländischen Anbieter gerade im obersten Preissegment zu ersetzen.

Die Ostregion hat eine beachtliche Industrietradition (siehe S. 12 und 13), sie hat viele Industriezentren und muß daher nicht erst an den Industrialisierungsprozeß angepaßt werden. Besonders vorteilhaft kommt hinzu, daß in der Ostre gion auch die berufliche und universitäre Ausbildung ein Zentrum haben. Fast im gesamten Bildungssystem werden hochwertige Ausbildungsmöglichkeiten angeboten.

Weiters ist die Ostregion auch Zentrum der Dienstleistungsnachfrage. Innerhalb des Dienstleistungssektors verschiebt sich der Bedarf von den bürokratischen und den persönlichen Dienstleistungen zu den produktionsnahen Dienstleistungen. Industriewaren sind viel besser verkäuflich, wenn neben dem harten Kern (Hardware) auch begleitende Dienstleistungen auf dem Gebiet der Finanzierung, des Services und der Planung angeboten werden. Gerade das könnte eine Stärke einer Region sein, die sich um ein Zentrum der Dienstleistungsnachfrage schart.

Letztlich haben auch die politischen und ökonomischen Reformen in den Ostblock-Ländern Anlaß für ein Umdenken geboten. Für die Wirtschaft det Ostregion sind das erhebliche Chancen, wobei in Ungarn die Reformen schon deutlichen

Charakter angenommen haben, in Zukunft aber auch in der CSSR unausbleiblich sein werden.

Der Charakter der ökonomischen Beziehungen zu den Ostländem wird sich dennoch anders gestalten als jener zu den westlichen Industriestaaten. Die Ostblockländer haben auf absehbare Zeit eine Devisenknappheit, daher werden sie nicht als Nachfrager nach Industriewaren auftreten. Sie treten vielmehr als Nachfrager nach Technologie und nach Managementfähigkeiten auf. Hier liegt die Chance der Industriebetriebe der Ostregion, daß sie Zweigbetriebe gründen, hierbei ihre technologischen und organisatorischen Fähigkeiten anbieten und gleichzeitig wesentlich billiger als in Österreich produzieren können. Das wird zu einer Verlagerung von Produktionssparten auch in Ost- blockländem führen. Dies ist aber im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung nicht negativ zu sehen. Österreich bleibt dabei der Anbieter von hochwertigen Leistungen und kann seine Produktion von den minderwertigen zu den höherwertigen Gütern verschieben. Gleichzeitig wird die Intemationa- lisierung in diesem Fall in Richtung Osten fortgesetzt. Sie ist kein genereller Ersatz für die Intemationali- sierung in den EG-Markt, sie ist aber für ein anderes Segment von Indus trieuntemehmimgen durchaus eine wünschenswerte Ergänzung (für einzelne Firmen die Alternative).

Ich habe geringere Sorgen, daß die politische Entwicklung in den Ostländem wiederum zurückgeworfen wird, als ich die Sorge habe, daß die österreichischen Politiker und die österreichische Industrie sich dieser neuen Chancen zu langsam besinnen. Auch und gerade in der CSSR wäre jetzt der optimale Zeitpunkt, jene Kontakte zu knüpfen, die in wenigen Jahren einen erheblichen Konkurrenzvorteil für die Ostregion bieten würden. Vielleicht könnte man jetzt schon mit Verhandlungen über eine Wirtschaftszone, wie sie zum Beispiel in der Volksrepublik China üblich ist, beginnen. In dieser könnten andere Regeln für Produktionsstandorte gelten als im gesamten Gebiet, hier könnte Österreich als neutrales Land sicher früher als andere zum Zug kommen. Wenn die tschechische Wirtschaft und ebenso die ungarische in ihrem Reformprozeß große Fortschritte erzielt haben, dann werden größere Anbieter aus westlichen Ländern attraktiver als das kleine Österreich. Ungarn hat zum Beispiel in der Bundesrepublik im Februar 1989 eine Liste von 50 zu verkaufenden Unternehmen vorgelegt, nicht in Österreich. Die Ostregion sollte hier ihren Regionalfaktor einmal als Chance wahmehmen.

Der Autor ist Referent im Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung.

Der Beitrag zitiert auszugsweise aus der kürzlich erschienenen Studie “Ost-West-Drift in Österreich’ des Club Niederösterreich.

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