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Ironie und Wehmut

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Sprache läßt sich bekanntlich auf die vielfältigste Weise gebrauchen und mißbrauchen - auch im Genre jener Literatur, die gemeinhin als Erzählen bezeichnet wird. Man kann aber auch mit Sprache in einer Art umgehen, die nicht nur für den Leser einen Zugang zu dem, was ist, erschließt, sondern die auch Wirklichkeit aus dem Zusammenspiel mit dem Möglichen überhaupt erst stiftet.

György Sebestyen ist dies in seinem neuesten Band „Erzählungen“

bei einigen der dabei zusammengefaßten Arbeiten in einer Weise gelungen, die ihn als Meister ausweist - und dies nicht nur aufgrund der Variationsfähigkeit seiner sinnlichen Sprache.

Drei verschiedene Erzählarten sind es vor allem, in denen dies spürbar wird: Die Fabulierlust und Ironie in der Beschwörung einer vergangenen pannonischen, österreichisch-ungarischen Welt, in der sich wehmütige Trauer und Verschmitztheit miteinander vermengen, die nahezu lyrisch-elegische Beschreibung von „Behausungen“,

von Fortgang und Heimkehr und die nüchterne, keinen moralischen Zeigefinger hervorkehrende Beschreibung politisch-totalitären Schreckens.

In seinen pointiertesten Erzählungen überläßt sich dieser österreichische Ungar oder magyarische Österreicher, in jedem Fall der Pan-nonier Sebestyen, einf achder Sprache: Das Ringen mit ihr wird dann unsichtbar und geht ebenso in ein Streicheln der Sprache über wie in ein Hören auf sie - dann macht Sprache Ereignisse und Geschehnisse transparent, erschafft Begebenheit und Beziehungen, beschreibt und selektiert sie.

Ob sie nun leicht und luftig oder komödiantenhaft-verschmitzt gerät, Sprache wird abseits jedweder Wertung zur Wahrnehmung, die sich zur Erfahrung verdichtet. Sebestyen ist ein feiner Beobachter der Nuancen. In Erzählungen wie „Der schö-

ne Philipovits“ scheint dies ebenso durch wie in „Behausungen“, deren letzten Seiten für mich zum schönsten gehören, das Sebestyen je geschrieben hat. Wehmut und Sehnsucht, aber auch Hellsicht und Nüchternheit vereinigen sich zu Beschreibungen, die Bilder entstehen lassen, die man schon gesehen zu haben glaubt. Diese Prosa ist eine Art „Cantos“, etwas, was aus den Verdichtungen einer sinnlichen und zugleich nachdenklichen Sprache herrührt.

Wie schon „Die Werke der Einsamkeit“ sind auch die Erzählungen ein brüderliches Buch. Denn Sebestyen transportiert unmerklich eine Botschaft von Freundschaft, Liebe und Zärtlichkeit, von Sehnsucht und Hoffnung gegen die Vergänglichkeit. Auch wenn manche dieser Erzählungen wie „Lady Annabell Lee“, „Herr Picknick und Gogo“ oder „Begegnung mit dem Engel“

ins Surrealistische umschlagen; es ist ein geschärfter Wirklichkeitssinn, eine Vorliebe für das Konkrete, die hier spürbar wird.

Aber im wohltuenden Unterschied zu jenen plump ideologischen Produkten realistischer Literatur der siebziger Jahre ist dieser Wirklichkeitssinn behutsam und vorsichtig, ebenso sinnlich wie philosophisch und weise. Zugleich aber bewahrt die Nüchternheit der Erzählkunst Sebestyen vor allzu pathetischen Aufarbeitungen jener Erfahrungen, die der 1956 aus Ungarn geflüchtete Schriftsteller mit totalitären Systemen gemacht hat. Hier wird die Sprache knapp, verhalten, zurücknehmend und man beginnt zu frösteln, wie etwa bei dem zwischen 1957 und 1966 entstandenen Zyklus „Rauch und Regen“ oder in der letzten Erzählung „Alte Garde“, in der Sebestyens Befürchtung einer Restauration totalitärer Staatsformen

wieder auflebt. Aber allein schon der Unterschied ist bemerkenswert: Wo zunächst Aufarbeitung des Beklemmenden geboten schien und der unmittelbare Eindruck vorherrschte, hat sich Jahrzehnte später die Kunst des Ungesagten, des Auslassens durchgesetzt. Wo Politik und Ethik zusammenprallen, läßt Sebestyen das zu Sagende nur durchscheinen und wirkt damit überzeugender als dort, wo er es direkt beschwört.

Sebestyen kann erzählen: Und dies ist in einer Zeit der Hirnakrobatik der endlosen Reflexionen einerseits und der plumpen Deskription von Zuständen mit larmoyanter, gesell-schaftsverändernder Geste schon genug, um diese Erzählungen, denen eine verschämte, manchmal auch offene Liebeserklärung an das Leben zugrundeliegt, zu schätzen. Darüber hinaus ist es der Ton der Brüderlichkeit, der berührt und der einen unversehens in ein fiktives Gespräch mit den Figuren eintreten läßt. Man wäre gern Gast im „Weißen Haus“ der Erinnerungen, um sich wie der schöne Philipovits -allerdings mit weiteren Erzählungen - füttern zu lassen.

ERZÄHLUNGEN. Von György Sebestyen. Styria Verlag, Graz/Wien/Köln 1989.400 Seiten, öS 420,-.

Landschaften und die See

Bekannt wurde Joseph Mallord William Turner (1775 bis 1851) vor allem mit seinen romantischen Landschaften und den berühmten Seestücken. Die vorliegende Monographie beweist, daßer sich mit einer Vielfalt an Themen beschäftigte, die von Historienbildern. über heitere Genreszenen und Architekturdenkmäler bis zu erotischen Zeichnungen und lyrischen Aquarellen reicht.

Turners Bilder zeichnen sich vor allem durch ein atmosphärisches Licht aus, das zu seiner Zeit neu-und einzigartig war und deshalb von den konservativen Viktorianischen Zeitgenossen kritisiert wurde. Heute jedoch gelten seine Hauptwerke als richtungweisend für die europäische Malerei. Der Autordes Bandes war Direktor der Washingtoner National Gallery of Art.

HK

JOSEPH MALLORD WILLIAM TURNER. Von John Walker. Du Mont Buchverlag, Köln 1989.160 Seiten, 56 Farbtafeln, zahlreiche SW-Äbbildun-gen. öS 694,20.

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