6994794-1987_05_15.jpg
Digital In Arbeit

Jänner, Zeit des Hoffens

Werbung
Werbung
Werbung

Die Erde ist hart und starr, eisiges Klirren versilbert die Luft: Man blickt zurück auf das Vergangene, ist voll guter Vorsätze. Und siehe, manchmal öffnet der Himmel seine Augen, haltloses Blau schwebt höher und höher, geheimnisvolle Verheißung. Versöhnlichkeit ist über die Stadt

gebreitet, die Autos schleichen wie Panther über den samtenen Schneeboden, Stimmen sind in der Luft, die zu Menschen gehören, deren Kommen unhörbar war. Die Stadt scheint wie verzaubert. /

Von weit her läuten Glocken wie in einem Bergdorf, die man sonst nie vernommen hatte.

Nun scheint die Erde tief Atem zu holen: Lind streicht ihr ein südlicher Wind übers Gesicht, man nannte das ehemals Schirokko,

heute ist's Föhn. Nachdenklich verwirrt blickt die Stadt um sich, zieht Schleier vor die Augen, Nebel brauen sich zusammen, und wenn die Dunkelheit einfällt, ist wieder alles anders. Aus der Tiefe murrt es, Dämonen erschrecken den kleinen Menschen, das Herz zittert und weiß im Innersten, daß Umkehr geboren wird. Einmal wird es Frühling werden. Anhalten, um sich zu sammeln! Anhalten um sich selber, in Einkehr und Erwartung.

Die Heiligen Drei Könige gehen um, längst vom Kommerz eingeholt, trotzdem: sie wollen das Gute. Ihre Gewänder sind phantastisch und phantasielos, und wenn die Tour länger dauert, verblaßt das Schwarz im Antlitz des Mohrenkönigs, und die Kronen sitzen schief. Der Fasching ist eröffnet.

Die Theater schalten auf Unterhaltsames, in blendend erleuchteten Sälen suchen Ballbesucher nach etwas, was es nicht gibt. Schminke glättet die Falten, Jugendschönheit gibt sich preis. Mit fadem Ernst wird Festlichkeit exekutiert. Wie jung ist doch Mozart gestorben.

Im Grunde ist es draußen weit schöner, im beschneiten Wald, im gelben Mondenschein, Das Zirpen der langen Bretter unter Tannen.

Janus, der Gott, hatte zwei Gesichter, ein verschlossenes mit dem Stempel der Vergangenheit, ein offenes nach der Zukunft hin. Die Römer weihten ihm einen Tempel, dessen Tore geöffnet wurden, damit er ihnen beistehe, wenn sie in den Krieg zogen — wie unsereins ins neue Jahr. So starr und kalt der Monat Jänner

scheint, er ist doch ein Anfang. Ein Jahr liegt vor uns, es ist zu bewältigen. Die Tage wachsen; was geahnte Perspektive war, wird Wirklichkeit. Die Zweigesichtig-keit des Gottes enthüllt das tiefe Geheimnis der Vorsehung, die das Böse zuläßt, um das Gute zu schaffen, dem Guten aber, oft tief im Vergangenen wurzelnd, Dämpfung auferlegt. Die Zweige-sichtigkeit: In der Erinnerung deckt sanfter Schnee die Leiden zu, die Freuden aber, weniger zahlreich, erglänzen.

Der Jänner ist kein Monat des Todes, so eisig er uns ansieht, so kühl er über Gewesenes hinweggeht. Er ist vom Werdenden geprägt, und wenn uns auch sein Bild mit knorrigem Geäst verschreckt, so bleibt er doch ein Monat des Hoffens.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung