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Digital In Arbeit

Jedem Bürger sein Konto!

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Der Gerechte fällt siebenmal am Tag, aber der Gerechten sind wenige. Das mehrt die Zahl der “Fälle“. Wo die ephemeren Medien mit Enthüllungen kaum nachkommen, muß ein Blatt wie die FURCHE, dessen Anspruch weniger kurzatmig ist, zwangsläufig ins Hintertreffen geraten. •

Nach dieser Vorbemerkung kommen wir unverzüglich zur Sache. Sie entstammt unserem Vorschlag- Schatz (thesaurus propositionum) und ist geeignet, die Zahl der Gerechten mit einem Schlag dramatisch zu erhöhen und die Zahl der “Fälle“ zu senken.

Werden wir konkret: Jedem Bürger soll ein “Schuldkonto“ zugeteilt werden.

Dabei soll jedem überlassen bleiben, in welchem Zeitraum und mit

Lange schon träume ich vom großen Geld.

Mit dem Lotto funktioniert’s nicht, mit der bisherigen Arbeit schongar nicht, und Erbtantengibt’s keine.

Deshalb habe ich Marktforschung betrieben, und ich habe zwar keine Marktlücke entdeckt, aber den großen Trend unserer Zeit: die Demontage. Darunter ist leider nicht der Abbau imnötiger E-Werke und Schadstoffproduzierer zu verstehen, wohl aber jener ehemaliger Größen aus Kunst, Wissenschaft und Politik. Wobei der bloße Abriß noch nicht die Kassa füllt, die publikumswirksame Aufbereitung desselben j edoch schon.

Es ist also nicht damit getan, durch mehr oder weniger seriöses Forschen darzulegen, daß Cäsar Schweißfüße hatte oder daß Einstein ein Vollidiot war. Vielmehr ist’s die Form, wie die Erkenntnis dem geschätzten Publikum dargeboten wird. So ist also das Heruntermachen Franz Schuberts mit dem Aufdecken seines kläglichen Charakters samt ekelhafter Krankheiten ein wunderbar kontofüllendes Filmthema geworden. Mozart ist seit geraumer Zeit nie versiegende Geldzapfsäule, indem er, nur noch als Amadeus bezeichnet, schuldenmachend, schweinigelnd und mordbedroht Roman-, Schlager- und Dramenstoffe nur so hervorsprudelt.

welchen Taten er sein Guthaben an Vergehen aufbraucht. Wer täglich mit 180 “Sachen“ über die Autobahn donnert, kommt schneller zum Kontoausgleich als einer, der alle paar Monate falschparkt. Ein gelegentlicher kleiner Ladendiebstahl bucht weniger vom Schuldkonto ab als regelmäßiger Devisenschmuggel. Und Steuerhinterziehung - aber wir wollen nicht politisieren, sondern unseren Vorschlag weiter erörtern..

Wir hören ja schon die ersten Einwände und beeilen uns mit folgender Klarstellung: Kapitalverbrechen sind zum Kontoausgleich nicht geeignet! Damit dennoch das Startkapital nicht zu gering ist, was den Wert der Aktion beeinträchtigen würde, sind Fristen vorgesehen, innerhalb derer das Guthaben aufgebraucht werden muß, soll es nicht verfallen.

Der gute alte Kennedy, seinerzeit ein Idol, gibt’s auch schon billiger und bietet sich somit als Kassenmagnet an: rauschgiftsüchtig, korrupt, lasterhaft, brutal. Churchill, Karl May, die alten Pharaonen, Rembrandt, Doderer, Michelangelo, Richard Wagner sowieso und wer weiß, auch Marie von Ebner Eschenbach: allesamt Miserabilitäten, gut fürs nächste Musical, wo jeder von ihnen keulenschwingend, leicht bis gar nicht bekleidet oder Halbwüchsige quälend den großen Auftritt hat. Wie ich höre, hat ja sogar der Franz Xaver Gruber das Stille Nacht irgendwo gestohlen, es ist also nicht von ihm und grauslich-schöner geht’s ja nicht mehr, eine achtteilige Femsehserie ist da mindestens drin.

Bevor’s also aus der Mode kommt, werde ich, so denk’ ich mir, einen untadeligen Prominenten so richtig zerlegen. Und weil die Geschichtskenntnisse der Konsumenten mitunter nicht eben berauschend gut sind, sollte es einer der Heutigen sein, einer, den alle garantiert kennen.

Ich brauche also als Stoff für eine große Heruntermacher-Oper einen Unbescholtenen, eine Integre, aus unseren Tagen.

Die Idee ist gut, darüber gibt es keinen Zweifel. Das entsetzlich Schwierige ist lediglich die Suche nach dem Titelhelden.

Wir betonen, daß unser Vorschlag keineswegs ein neuerlicher Schritt der Entkriminalisierung ist; denn Ladendiebstahl bleibt Ladendiebstahl, Vergehen bleibt Vergehen und - um es auch in moraltheologischen Kategorien auszudrücken, die der FURCHE wohl anstehen - böse Tat bleibt böse Tat, Sünde Sünde.

Damit sind wir beim Kern. Unser Vorschlag geht von der Erkenntnis aus, daß der Mensch zum Bösen geneigt ist. Wenn es aber zum Wesen der (gefallenen) Natur des Menschen gehört, daß sie vom Bösen angezogen wird, dann sollte man diesem Drang einerseits Rechnung tragen, ihn aber anderseits domestizieren. Durch das Schuldkonto, das weder das Gesetzwidrige gesetzmäßig noch das Böse gut macht, wird dem Menschen die Möglichkeit gegeben, innerhalb von für die Gemeinschaft relativ verträglichen Grenzen dem Drang des Bösen nachzugeben.

Damit schließen wir für heute unseren thesaurus. Die Feinarbeit bleibt erst zu tun. Denkbar sind zum Beispiel berufsbezogene Spezifizierungen. Wie das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch zuerst in Galizien erprobt und erst dann auf das ganze Reich ausgedehnt wurde, könnte man unseren Vorschlag zuerst bei den Politikern erproben: Denkbar wäre ein “Freibetrag bei Steuerhinterziehung“.

Das Gerücht, diese Erprobung sei längst im Gange, müssen wir als ebenso böswillig wie falsch zurückweisen.

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